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DGPFG-Rundbrief
2/2016 Nr. 52

Dezember 2016

Liebe Mitglieder der DGPFG,

haben Sie nicht auch das Gefühl, dass auf unserer Seele herumgeTRUMPelt wird?

Dass ein Populist einen faktenlosen Wahlkampf gewinnt, sollte uns mehr als nachdenklich stimmen. Die von der Globalisierung vorgegaukelte, aber selten mögliche „Verfügbarkeit“ eines sorgenfreien Lebens erzeugt Gier, Kränkung und am Ende ein Gefühl von Bedeutungslosigkeit. Dies ist der Nährboden für fast alle Zeitphänomene wie auch den Erfolg des Populismus.

Was können wir Psychosomatiker tun?

Der bekannte Freiburger Ethiker Giovanni Maio schreibt in seinem Buch, Medizin ohne Maß: „Das Glück liegt nicht in unserer Hand, sondern in unserer Einstellung.“ …und damit können wir insbesondere mit unseren Patientinnen immer wieder arbeiten. Die biopsychosozial begleitete Elternschaft ist kein Garant aber Voraussetzung für eine Entwicklung zum selbstbewussten, kohärenten Menschen, der weniger Anfälligkeit zeigt für Extremismus, welcher Art auch immer.

Aber auch die ganz allgemeine psychosomatische Begleitung von Frauen in Ihren Lebensübergängen von der Menarche bis zur Menopause und in ihren Krisenzeiten, sei es aus biologischen, psychischen oder sozialen Gründen, hat aus meiner Sicht protektive Effekte.

Indem wir eine ehrliche und ganzheitliche Medizin anbieten, welche sich nicht dem Diktat von Ökonomie und Organisation unterordnet, leisten wir viel für den „Seelenfrieden“ – auch den unseren.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie nach Lektüre unseres Rundbriefes auch zu dem Schluss kommen, dass wir in der DGPFG und im Verbund mit den kooperierenden Verbänden gute Arbeit leisten. Vorstand und Beirat sind fleißig und haben viel geschafft. Wir sind auf gutem Weg – sind zunehmend bedeutsam, versuchen klug und evident zu entscheiden und öffnen unsere Grenzen, und damit stehen wir auch politisch auf der aus meiner Sicht richtigen Seite. Ich hoffe, viele von Ihnen sehen das auch so.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich und in freudiger Erwartung auf ein Wiedersehen in Dresden

Dr. Wolf Lütje
Präsident der DGPFG

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Inhaltsverzeichnis

Seite 3
Einladung zur Mitgliederversammlung


Seite 4
Klausurtagung im September 2016


Seite 5
Gewalt gegen Frauen


Seite 6
Die neue Homepage


Seite 7
DGPFG-Kongress 2017


Seite 8
Nationales Zentrum Frühe Hilfen


Seite 9
Kooperationen – Informationen und Stand der Dinge


Seite 10
Das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland BKiD


Seite 10
Perspektiven der psychosozialen Kinderwunschberatung in Deutschland – Tagung in Hamburg


Seite 11
Initiative Klug entscheiden


Seite 12
Kongressberichte


Seite 12
61. Kongress der DGGG 2016


Seite 13
DGPFG-Sitzung zu Migrationsthemen auf der DGGG-Tagung 2016


Seite 14
23. Jahrestagung des AKF


Seite 15
Fachtag „Gelingende Geburtshilfe“


Seite 16
Studie: Deutschland hat weniger Sex


Seite 17
Buchtipps


Seite 17
Vertrauen in die natürliche Geburt


Seite 17
Schönheitsmedizin


Seite 18
Impressum

Postpartale Depressionen bei Vätern

Postpartale Depressionen bei Vätern

Eine laufende Studie des Universitätsklinikums Frankfurt fand heraus, dass nahezu derselbe Prozentsatz an Vätern und Müttern Depressionen entwickelte, nachdem die Mutter aufgrund von Risiken einer Frühgeburt ins Krankenhaus geliefert wurde.

Zum Artikel (Englisch)

Artikel des Monats Oktober 2017

Artikel des Monats Oktober 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Sophia Chae et al.

Reasons why women have induced abortions: a synthesis of findings from 14 countries.

Contraception Volume 96, Issue 4, October 2017, Pages 233-241

 

Es wurden repräsentative Daten aus 14 Ländern, davon neun sog. Entwicklungsländer, ausgewertet, wobei auf offizielle Statistiken, Registerdaten und populationsbasierte Studien zurückgegriffen wurde. Daten aus Deutschland sind nicht darunter. Die ausgewerteten Daten stammten aus den Jahren 2004 bis 2011. Für jedes Land wurden die Hauptgründe für einen Schwangerschaftsabbruch berechnet. Soweit angegeben, fanden auch soziodemographische Angaben wie Alter, Bildung, Familienstand u.a. Berücksichtigung. Die angegebenen Gründe für eine Abruptio wurden in sieben Kategorien unterteilt: Aufschieben der Schwangerschaft auf späteren Zeitpunkt, abgeschlossene Familienplanung, sozioökonomische Gründe, Probleme in der Partnerschaft, zu jung für eine Schwangerschaft, Risiken für die mütterliche Gesundheit und medizinische Risiken in Bezug auf den Fetus, andere Gründe.

Der in den meisten einbezogenen Ländern genannte Hauptgrund für einen Schwangerschaftsabbruch waren sozioökonomische Gründe und Begrenzung der Kinderzahl („Geburtenkontrolle“). Häufig haben die betroffenen Frauen mehrere Gründe für die Entscheidung angegeben. Unter Beachtung der Limitation dieser Datenauswertung von 14 Ländern weisen die Autoren darauf hin, dass Frauen offenbar sehr unterschiedliche Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch haben können. Diese scheinen zwischen den Ländern etwas zu variieren und manchmal auch innerhalb eines Landes je nach soziodemographischen und kulturellen Einflussfaktoren, der Qualität der Gesundheitsversorgung, gewünschter Kinderzahl sowie Zeitpunkt und Abstand der Geburten, dem Grad der „sozialen Stigmatisierung“ sowie der vorhandenen Unterstützung in der Schwangerschaft. Die Untersuchungsergebnisse zeichnen ein weltweites Bild der Umstände, die die Entscheidung der Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch und die potentiellen Konsequenzen für eine ungewollte Schwangerschaft beeinflussen. Wegen der möglichen Folgen einer ungewollten Schwangerschaft und deren Abbruch auch für das weitere Leben der Betroffenen empfehlen die Autoren für weitere Untersuchungen eine vertiefende Eruierung der persönlichen, sozialen, ökonomischen und medizinischen Faktoren, die zu einem Schwangerschaftsabbruch führen.

In diesem Zusammenhang soll auf zwei aktuelle Arbeit im Kontext des o.g. Artikels hingewiesen werden: (1) Charlotte Kanstrup et al. Women’s reasons for choosing abortion method: A systematic literature review. Scandinavian Journal of Public Health 2017; 1–11; DOI: 10.1177/1403494817717555; (2) Franz Hanschmidt et al. Abortion Stigma: A Systematic Review.  Perspectives on Sexual and Reproductive Health 2016; 48 (4) 169-177.

Matthias David, Oktober 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats September 2017

Artikel des Monats September 2017

vorgestellt von PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Harris V, Fischer G, Bradford JA.

The aetiology of chronic vulval pain and entry dyspareunia: a retrospective review of 525 cases.

Aust N Z J Obstet Gynaecol. 2017 Aug;57(4):446-451. doi: 10.1111/ajo.12613. Epub 2017 Mar 13.

 

Hintergrund:
Es gibt wenig verfügbare Daten zu den zugrundeliegenden Diagnosen und durchgeführten Therapieansätzen bei chronischem Vulvaschmerz.

Material und Methode:
Mit ihrer retrospektiven Studie an 525 Frauen wollen die Autoren diese Lücke schließen. Dazu wurden die Fallberichte einer Spezialsprechstunde für Vulvaschmerz an einem privaten Krankenhaus in Australien ausgewertet. Die Auswertung erfolgte von Januar 2011 bis März 2015.

Ergebnisse:
Das Durchschnittsalter der betroffenen Frauen betrug 47,1 Jahre (range 17-86). Die durchschnittliche Dauer der Symptome betrug 60 Monate (range 3-432). Bei 277/525 (52.7%) Patientinnen wurde die durchgeführte Therapie zu einer befriedigenden Besserung der Symptome, bei 90 Frauen (17%) kam es zu einer partiellen Verbesserung. Bei 322/525 (61.3%) Patientinnen wurde eine dermatologische Ursache identifiziert und diese zeigten in 65.5% eine befriedigenden Therapieerfolg. Bei den verbleibenden 38.7% war die Haut unverändert. In dieser Patientinnengruppe wurde nach einer neuromuskulären Ursache für die Schmerzen geforscht wie z.B. Voroperationen, traumatische Ereignisse oder andere Dysfunktionen. Bei 181 der 203 (89%) betroffenen Patientinnen wurde eine neuromuskuläre Ursache angenommen und den Patientinnen Physiotherapie und/oder neuromodulierende Medikamente empfohlen. Davon profitierten nur 63/182 (34.6%) der Frauen. 136 der 525 (31.6%) klagten nur über Vulvaschmerzen beim Geschlechtsverkehr. Dyspareunie war aber nicht mit einem schlechteren Therapieergebnis assoziiert.

Schlussfolgerungen der Autoren:
Bei den meisten der Patientinnen in dieser Studie wurde als Ursache ihrer chronischen Vulvaschmerzen eine dermatologische Ursache identifiziert und anschließend behandelt. Die zweithäufigste Ursache war neuromuskulärer Natur, auch hier war eine Behandlung möglich, aber mit geringerem Erfolg verbunden als bei den dermatologischen Ursachen. Erst bei Unwirksamkeit der Behandlung wurde die Diagnose einer Vulvodynie in Erwägung gezogen, hier dann definiert als Vulvaschmerzen ohne identifizierbare Ursache.

Anmerkung Siedentopf:
Der Artikel betrachtet das Problem des vulvären Schmerzes ausschließlich aus somatischer und hier vorrangig aus dermatologischer Sicht. Eine psychosomatische Betrachtungsweise oder überhaupt das Inbetrachtziehen psychosomatischer Faktoren entfällt. Das Konstrukt einer somatoformen Schmerzstörung ist in diesem Artikel nicht in Erwägung gezogen und fehlt deshalb. Aus meiner Sicht ist dies bei einer chronischen Schmerzsymptomatik fatal und wird der komplexen Situation der betroffenen Frauen nicht gerecht.

Friederike Siedentopf, September 2017

PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Pro Familia fordert Abschaffung der Babyklappen

Angebote zur vertraulichen Geburt werden angenommen

Das Bundeskabinett hat am 12. Juli den Bericht zu den Auswirkungen des Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der Vertraulichen Geburt vorgelegt, das am 1. Mai 2014 in Kraft getreten ist.
Es zeigt sich in einer Evaluation, dass die Hilfen angenommen und Schwangere in konflikthaften Lebenslagen erreicht wurden. Damit hat sich eine Strategie erfolgreich etabliert, die von der DGPFG schon 2001 vorgetragen wurde in ihrer Stellungnahme gegen die Legaliserung der anonymen Geburt (s. Service/ Stellungnahme 2001).
Die DGPFG schließt sich der Forderung der Pro Familia an, den Zugang zur professionellen psychosozialen Beratung mit öffentlichen Mitteln nachhaltig zu sichern. Außerdem müsse die Abschaffung der Babyklappen endlich umgesetzt werden, schließlich sei die Vertrauliche Geburt als eine rechtssichere und wirksame Alternative zu den bisher bestehenden nicht gesetzeskonformen Angeboten der anonymen Kindsabgabe konzipiert worden.

Zur Pressemitteilung

Zum Evaluationsbericht

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Artikel des Monats August 2017

Artikel des Monats August 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Maeve A. O’Connell et al.

Worldwide prevalence of tocophobia in pregnant women: systematic review and meta-analysis.

Acta Obstet Gynecol Scand 2017; Volume 96, Issue 8; Pages 907–920

 

Als Schwangerschafts- oder Tokophobie wird eine „starke, pathologische, unbegründete Furcht oder Angst vor einer Schwangerschaft oder Geburt“ bezeichnet. Es wird zwischen einer primären (die Nullipara betrifft) und der sekundären (bei Mehrgebärende nach einer Geburtserfahrung) Tokophobie unterschieden. Bei der primären Tokophobie spielt die Angst vor den Schmerzen bei einer Geburt nur vordergründig eine Rolle. Der Grad bzw. die Ausprägung einer Tokophobie ist schwer zu quantifizieren. Faktoren wie allgemeine Ängstlichkeit, vorausgegangener sexueller Missbrauch,, eine vorausgegangene traumatische Geburtserfahrung oder eine andere traumatische Erfahrung in medizinischen Einrichtungen, vorausgegangene Fehlgeburten, eine langdauernde Infertilität, Rauchen, geringe soziale Unterstützung und eine ungünstige Partnerschaftssituation scheinen mit der primären und der sekundären „Schwangerschaftsangst“ assoziiert zu sein.

Das wissenschaftliche Interesse daran bzw. die Beschäftigung damit hat in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen. Neuere Studien zeigen, dass die Tokophobie kurz und langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind haben kann.

Die Autoren um O´Connell führten eine Literaturrecherche mit nachfolgender Metanalyse in sechs großen Datenbanken für den Zeitraum 1946 bis April 2016 durch, um die weltweite Prävalenz dieser besonderen Angststörungen aufgrund vorliegender Veröffentlichungen bestimmten zu können. Die Literatursuche war hinsichtlich der Publikationssprache nicht eingegrenzt.

33 Studien aus 18 Ländern wurden gefunden, 29 davon konnten in die Metaanalyse einbezogen werden, die sich somit auf ein Gesamtkollektiv von fast 854.000 Frauen bezog. Die Autorengruppe stellt fest, dass die jeweils verwendete Definition für eine Tokophobie sehr unterschiedlich war und die Prävalenz zwischen 3,7 und 43% variierte. So betrug die Prävalenz in Skandinavien beispielsweise 12% im Vergleich zu 8% im Rest Europas und 23% in Australien. Die Daten zeigen auch, dass die Tokophobie häufiger bei Nullipara als bei Frauen, die schon ein Kind geboren haben, vorkommt. Unter Beachtung verschiedener statistischer Kriterien und auf der Basis von Subgruppenanalysen zur Studienqualität gehen O´Connell et al. von einer „gepoolten“ weltweiten Prävalenz von etwa 14% für die „Schwangerschafts- und Geburtsangst“ aus. Sie stellten außerdem fest, dass ca. seit dem Jahr 2.000 eine Zunahme der Tokophobie (oder der Berichte darüber?) zu registrieren ist.

Aus den Review-Ergebnissen ergeben sich zwei auch klinisch relevante Aspekte: (1) Es fehlt eine klare und eindeutige Definition der Tokophobie, was sowohl für die Praxis als auch für die Durchführung zukünftiger Studien wichtig wäre. Die Autoren betonen, dass ein gewisses Maß an Sorgen bei einer schwangeren Frau normal sei, denn eine Geburt ist ein weitgehend unberechenbares Ereignis. (2) Die festgestellte Prävalenz unterstreicht die Bedeutung der Tokophobie für das Gesundheitssystem. Ärztinnen, Ärzte und Hebammen sollten hier achtsam(er) sein und diese besondere Angststörung bereits in der Frühschwangerschaft erkennen.

Aufgrund der Heterogenität der ausgewerteten Studien und der fehlenden einheitlichen Definition der Tokophobie sollten die Ergebnisse dieses ersten großen Reviews mit Vorsicht interpretiert bzw. verallgemeinert werden, so die Autoren.

Matthias David, August 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Gyne 04/2017 – Sexarbeit und sexuelle Gesundheit – Was hat die Frauenheilkunde mit der Prostitution zu tun?

Gyne 04/2017
Sexarbeit und sexuelle Gesundheit –
Was hat die Frauenheilkunde mit der Prostitution zu tun?

Diese Fragestellung wurde auf der letzten Tagung der DGPFG (Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe DGPFG e.V) aus verschiedenen Blickrichtungen beleuchtet. In der angeregten offenen Diskussion zeigte sich, wie unterschiedlich der Wissensstand ist und wie viele offene Fragen es dazu gibt. Ein Resultat der Tagung ist die „Aktion Stöckelschuh“, auf die in der letzten gyne-Ausgabe schon hingewiesen wurde. Ziel ist ein nicht-diskriminierendes frauenärztliches Versorgungs-Angebot für Sexarbeiterinnen, unabhängig von jeder moralischen Bewertung dieser Tätigkeit (mehr unter www.dgpfg.de). Die beiden folgenden Artikel vermitteln dazu das nötige Hintergrundwissen.

Sexarbeit und sexuelle Gesundheit  – mehr Fragen als Antworten?

Wer über Sexarbeit reflektieren will, steht vor keiner leichten Aufgabe. Das beginnt schon bei den Zugängen  zum Forschungsgegenstand. Wo Stigma und Ausgrenzung die Zugänge zum Feld erschweren, wo Menschen in der Sexarbeit „beforscht“ statt an der Forschung beteiligt werden, fehlt es an wissenschaftlich gesicherten Daten und Fakten. Bislang liegen keine zuverlässigen Zahlen zur Sexarbeit in Deutschland vor, niemand kann seriös die Zahl der Sexarbeiterinnen oder ihrer Kunden benennen. Schätzungen, die in den Medien kursieren, variieren, oft abhängig von bestimmten Interessen.  Ob es in Deutschland 20.000, 40.000 oder viele hunderttausend Anbieterinnen für sexuelle Dienste gibt – niemand kann es sagen. Und das wird sich auch kaum ändern, solange Sexarbeiterinnen anders als Ärztinnen  oder Frisörinnen kein Interesse daran haben, sich zählen oder gar registrieren zu lassen. Ebenso wenig lässt sich sagen, wie viele Migrantinnen in Deutschland der Sexarbeit nachgehen und wie hoch ihre Zahl im Vergleich zu deutschen  Frauen ist. In manchen Regionen berichten Beratungsstellen und Bordelle aktuell von einem sehr hohen Anteil an Bulgarinnen und Rumäninnen.

Zu wenig gesichertes Wissen

Nicht nur die Zahl der Menschen in der Sexarbeit ist unklar. Auch ihre Arbeitsfelder entziehen sich meist einer systematischen Betrachtung. Wie viele Frauen arbeiten in Bordellen? Wie viele auf der Straße? Wie viele bieten „bizarre“ Dienste beispielsweise als Domina an, wie viele arbeiten immer mit Kondom? Ist die Arbeit auf dem Straßenstrich automatisch prekär und die im Bordell immer mit Zuhälterei verbunden? Und wie ist das Preisgefüge, was bedeuten Flatrates oder All-inclusive Angebote einschlägiger Etablissements? Und wie hoch ist eigentlich der Anteil der Männer, die sexuelle Dienste anbieten?

Wo es wenig Daten gibt, bleibt viel Raum für Meinung. Wo es an Faktenwissen fehlt, bestimmen allzu oft Fiktionen den öffentlichen Diskurs. Das ist bei der Sexarbeit nicht anders. Erschwerend kommt hinzu: wer einen Ausschnitt der Sexarbeit kennt, läuft Gefahr, dieses Wissen zu verallgemeinern. Das erschwert den Blick auf die vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen der Sexarbeit. Dabei ist die Branche mindestens so vielfältig wie beispielsweise die Gastronomie.

Die Suche nach dem passenden Wort

Die Herausforderungen im Umgang mit dem Thema zeigen sich auch bei der Wahl der richtigen Worte. Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Sexarbeit sprechen? Wäre Prostitution ein angemessenes Wort? Dahinter steht meist auch ein ideologischer Dissens. Wer „Sex gegen Geld“ grundsätzlich für ein Verbrechen hält und in der Prostitution ausschließlich eine Manifestation patriarchalischer Machtverhältnisse erkennt, nutzt meist andere Vokabeln als diejenigen, die eine selbstbestimmte Sexualität auch in der Prostitution fördern wollen. In der Sexualwissenschaft wird „Sexarbeit“ zumeist als Sammelbegriff benutzt. Dort passt er immer, wenn es einvernehmlich um sexuelle Handlungen gegen Entgelt geht: von den Darstellungen in einem Porno-Film bis zur kommerziellen Tantra-Massage, vom nackten Räkeln gegen Geld vor Internet-Kameras bis zum teuren Escort-Service für die Dienstreise. Prostitution wäre in diesem Zusammenhang nur die „klassische“ sexuelle Dienstleistung.

Apropos Dienstleistung: Der Verband  für Sexarbeitende in Deutschland  nennt sich selbst Berufsverband sexuelle und erotische Dienstleistungen, kurz BESD. Denn der Begriff Sexarbeit ist eigentlich eine Rückübersetzung aus dem Englischen „sex work“. Im internationalen Kontext wird überwiegend von „sex work“ gesprochen, wenn ein neutraler Begriff zum Einsatz kommen soll. „Sex work“ und Sexarbeit werden aber auch als emanzipatorische Vokabeln benutzt, die den Arbeitscharakter betonen sollen. Der Begriff „Prostitution“ trägt für viele Menschen in der Sexarbeit die falschen Konnotationen. Den einen ist der Begriff zu eng, weil er der breiten  Vielfalt im Markt keine Rechnung trägt. Die anderen verbinden ihn mit  dem Oxymoron „Zwangsprostitution“ und setzen Sexarbeit mit Verbrechen, Gewalt und Menschenhandel gleich. Gleichzeitig gibt es innerhalb der Sexarbeit Menschen, die sich ebenso selbstbewusst als Prostituierte bezeichnen, wie homosexuelle Männer sich als „schwul“ benennen. Internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO oder auch UNAIDS weisen regelmäßig darauf hin, dass Sex bzw. sexuelle Dienstleistungen nicht immer nur im  Austausch gegen Geld angeboten und vollzogen werden. Auch der so genannte „transactional sex“, bei dem die Entlohnung in der Finanzierung des Studiums oder auch im Bereitstellen  einer sicheren Unterkunft  besteht, gehört ebenfalls zum weiten Feld der Sexarbeit. Fach-Foren im Internet, seien es Foren von Kunden, so genannte Freier-Foren, aber auch andere Plattformen zu sexuellen Dienstleistungen, haben die komplexe Problematik zumindest sprachlich verkürzt. Sie sprechen schlicht von Pay-Sex, manchmal auch Pay6. Und aus der Sexarbeiterin oder Prostituierten wird eine SDL – eine Sexdienstleisterin.

Die rechtliche Regulierung der Sexarbeit

In Deutschland ist Sexarbeit grundsätzlich legal. Das Prostitutionsgesetz  (ProstG) schuf Ende 2001 auch eine zuvor bestehende Sittenwidrigkeit ab. Seither sind Verträge in der Sexarbeit ebenso gültig wie in anderen Branchen; Sexarbeiterinnen können ihr Salär von zahlungsunwilligen Kunden vor Gericht einfordern und sich auch sozialversicherungspflichtig anstellen lassen. Letzteres wird jedoch von den überwiegend selbständig arbeitenden Menschen in der Sexarbeit kaum praktiziert.

Sexarbeit wird außerdem durch eine Vielzahl von Gesetzen und Verfahren reguliert, beispielsweise aus dem Straf-, Bau-, Gewerbe-, Polizei- oder  Steuerrecht. Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern können Sexarbeit beispielsweise mithilfe von Sperrgebietsverordnungen einschränken.

Im Juli 2017 soll das „Gesetz zur Regulierung  des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution  tätigen Personen“, kurz ProstSchG, in Kraft treten. Dieses unter Fachleuten sehr umstrittene Gesetz sieht unter anderem eine Anmeldepflicht für Prostituierte, eine Kondompflicht sowie eine verpflichtende Gesundheitsberatung vor.

Gerade letztere gilt vielen in der Beratungsarbeit als kontraproduktiv. Nicht nur der BESD, sondern auch das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (Bufas), die Deutsche STI-Gesellschaft, der Deutsche Frauenrat, der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie etliche Nichtregierungsorganisationen wie die Deutsche Aidshilfe kritisieren das Gesetz und befürchten unter anderem mögliche Kollisionen zwischen der Pflicht zu Registrierung und Beratung und dem bewährten Infektionsschutzgesetz (IfSG), nach dem eine gesundheitliche Beratung stets freiwillig und anonym angeboten wird. Vielerorts haben sich nach dem 2002 in Kraft getretenen IfSG gut genutzte Angebote für Sexarbeiterinnen in den Gesundheitsämtern etablieren können. In vielen Fachstellen der Ämter, die oft das Kürzel STI (sexually transmitted infections) tragen und der sexuellen Gesundheit dienen, erhalten auch Menschen ohne Krankenversicherung gesundheitliche Beratung und teilweise auch medizinische  Versorgung.

Herausforderung für die gesundheitliche Versorgung

Noch ist unklar, wie die Länder und Kommunen das neue ProstSchG umsetzen werden. Klar ist aber, dass sich nicht alle Menschen in der Sexarbeit als Prostituierte registrieren lassen wollen. Viele fürchten erhebliche Nachteile, wenn ihre Erwerbsquelle bekannt wird. Einige Fachverbände begründen das mit dem hohen Stigma-Risiko, das mit Sexarbeit verbunden ist. Sie verweisen auch auf unabsehbare Konsequenzen für die Betroffenen, da Prostitution in etlichen, auch europäischen Ländern kriminalisiert ist.

Fachleute befürchten deshalb, dass Sexarbeiterinnen, die sich nicht registrieren lassen, künftig den Kontakt zu Ämtern generell vermeiden und in eine Art Halb-Legalität abtauchen. Ihre gesundheitliche Versorgung wäre dann durch den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) nicht mehr zu gewährleisten. Damit könnten auf Ärztinnen  und Ärzte in Kliniken und Praxen neue Herausforderungen verbunden sein. Vieles, was bisher erfolgreich im ÖGD angesiedelt ist, könnte sich verlagern. Ob Sexarbeiterinnen dann noch die erforderliche Aufklärung zu sexuell übertragbaren Infektionen, eine empathische Beratung zu sexuellen Praktiken und unkomplizierte medizinische Versorgung beispielsweise bei Kondomunfällen erhalten, wird auch davon abhängen, wie offen, flexibel und fachlich kompetent sich Ärztinnen und Ärzte auf ihre Patientinnen aus der Sexarbeit einstellen.

 

Zur Autorin: 

Harriet Langanke ist Sexualwissenschaftlerin am Center for Sexology and Sexuality Studies der Universität Malmö in Schweden, wo sie speziell zu Freier-Foren im Internet forscht. Sie leitet in Köln die von ihr gegründete Gemeinnützige Stiftung Sexualität und Gesundheit (GSSG) und berät den Vorstand der Deutschen STI-Gesellschaft.

Gyne 4/2017
Sexarbeit – eine Herausforderung für die frauenärztliche Praxis

Wie geht es Sexarbeiterinnen in Ihrer Praxis?

„Ich habe eine Frauenärztin, die mich freundlich und kompetent behandelt, Früherkennungsuntersuchungen durchführt, mich in vielerlei Hinsicht gut berät. Aber wenn ich mal Pech hatte mit einem Freier oder Angst habe, dass mich jemand angesteckt hat mit einer Infektionskrankheit, dann bespreche ich das nicht mit ihr. Ich habe ihr nämlich gesagt, ich sei Werbekauffrau. Was ich wirklich mache beruflich, kann ich ihr unmöglich sagen. Sie weiß immer so genau, was richtig ist.“

Wir FrauenärztInnen wissen zuwenig über Sexarbeit. Dass wir selbst in Großstädten keine oder nur wenige Sexarbeiterinnen kennen und behandeln, hat zwei Gründe: sie kommen gar nicht zu Frauenärzten oder sie verschweigen ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin. Auch Frauenärzte beziehen ihre Kenntnisse zu häufig über die Medien, durch die nur bestimmte Facetten der Sexarbeit in den Fokus kommen und Prostitution mehr oder weniger mit Zwang und Menschenhandel gleichgesetzt wird. Aber Sexarbeiterinnen wünschen sich, offen sprechen zu können. Sie wünschen sich eine vertrauensvolle Beziehung, die Möglichkeit, auch über Probleme bei ihrer Arbeit sprechen zu können, ohne gleich mit Vorwürfen überschüttet zu werden, oder gar Verachtung zu spüren. Sie brauchen auch keine freundlich daherkommenden Rettungsversuche. Alle Sexarbeiterinnen machen sich Gedanken über ihre Tätigkeit, meist schon seit Langem.

Was können Sie für Sexarbeiterinnen tun?

Wenn Sie an Sexarbeit denken, was fällt Ihnen zunächst ein? Wie es wäre, wenn Ihre Tochter Ihnen eines Tages erzählen würde, dass sie ihr Studentengeld mit Escortarbeit aufbessert? Oder wenn Ihr Ehemann Ihnen beichten würde, dass er immer wieder eine Sexarbeiterin aufsucht, weil sie größere Brüste hat als Sie und ihm außerdem zuhört?

Sie brauchen Akzeptanz und Fachlichkeit.
Aber kann ich Sexarbeit überhaupt akzeptieren? Weiß ich überhaupt genug und kann deshalb eine Meinung haben?

Hinterfragen Sie die Bilder in Ihrem Kopf:

Bilder der Extreme: „Pretty woman“ und die obdachlose drogenkonsumierende Frau am Straßenrand. Die Welt der Sexarbeit ist aber vielfältiger. Die Bandbreite reicht vom „Straßenstrich“ bis zum Escortservice, Verdienstmöglichkeiten und Lebenswelten sind höchst unterschiedlich. Fast nie kommt jedoch das große Mittelfeld ins Blickfeld, all die Frauen, die in Wohnungen und in kleineren Gruppen weitgehend unspektakulär arbeiten und viele Stammkunden haben. Und was wissen Sie über die Kunden? Auch sie sind „normaler“, als Sie vielleicht denken und Dominanzwünsche kommen vor, sind aber eher selten.

Keine leichte Arbeit, diese Sexarbeit! Wir sollten sie auf keinen Fall idealisieren. Sie können aber eine Sexarbeiterin akzeptieren, ohne ihre Arbeit toll zu finden!

Eignen Sie sich spezielle Kenntnisse an:

Sie beraten und behandeln jetzt schon bezüglich vaginaler und analer Gesundheit. Und sie wissen über „safer sex“ Bescheid. Aber viele spezielle Themen sind uns nicht ganz so vertraut:
Wie wirkt sich dauernder Kondomgebrauch auf die Vagina aus? Welche Arten von Gleitmitteln und Kondome gibt es? Welche Kondome werden für Analverkehr gebraucht? Wie können Sie der älteren Sexarbeiterin helfen? Kann man sich durch Kontakt mit Urin eine Hepatitis C Infektion zuziehen? Wie kann ich Sexarbeiterinnen zu STI-Tests motivieren?…..
Sexarbeiterinnen haben – bis auf die Gruppe der drogenkonsumierenden Frauen unter ihnen – im Mittel nicht mehr STIs, als Frauen mit anderen Berufen. Dennoch, im Umgang mit Sexarbeiterinnen tauchen viele der Ihnen bekannten medizinischen Problemfelder in neuer Intensität auf.

Hier einige Beispiele:
Fast alle Sexarbeiterinnen haben rezidivierende Probleme mit bakterieller Vaginose. Meist entsteht ein polymikrobieller Biofilm, der sexuell übertragbar ist und nicht nur an der Vaginalwand, sondern auch an Epithelzellen im Urin der Partner zu finden ist. Die BV kann subjektiv unangenehm sein (Geruch!), erleichtert aber auch das Vordringen anderer Keime und bedingt eine höhere Rate von Frühgeburten. Die Diagnostik erfolgt einfach mit dem Mikroskop und sinnvollerweise ohne Labor. Prävention mit Laktobazillen und Probiotika ist auf die Dauer der Therapie mit desinfizierenden oder antibiotischen Substanzen überlegen.

Ebenfalls sehr häufig ist die nicht ausheilende HPV-Infektion. Unsere jetzt erwachsenen Patientinnen  wurden noch nicht geimpft. Sie wollen Ihrer Patientin keine Angst machen, aber es ist auch wichtig, dass sie zuverlässig zu PAP-Kontrollen kommt. Diese „Compliance“ ist nur durch ein vertrauensvolles Verhältnis zu erreichen, d. h. es liegt auch an Ihnen, ob eine Frau ihre Kontrolltermine einhält oder nicht.

Es gibt keine Impfung gegen Hepatitis C und auch nach einer durchgemachten Erkrankung oder erfolgreichen Behandlung kann man sich immer wieder anstecken. Leider sind drogenkonsumierende Sexarbeiterinnen in doppelter Weise gefährdet. Ungefähr drei Viertel aller Frauen dieser Gruppe sind infiziert. Eine Therapie ist zwar teuer, heute aber nicht mehr wie früher mit starken Nebenwirkungen verbunden und das Virus lässt sich nach der Therapie oft nicht mehr nachweisen. Eine Heilung ist erreichbar.
Sie wollen nach einer Therapie eine neue Infektion verhindern? Dann müssen Sie mit Ihrer Patientin im Dialog bleiben, herausfinden, wo es bezüglich „safer sex“ und „safer use“ noch Schwachstellen gibt. Ebenso wie für die Behandlung bei HIV brauchen Sie die Zusammenarbeit mit einer spezialisierten Praxis für Infektiologie. Dort kann man auch immer wieder einzelne nicht versicherte Frauen zur Therapie unterbringen.

Die Gonorrhoe wird in Deutschland in den letzten Jahren häufiger diagnostiziert. Als Teil des Screenings auf STI nimmt die Gonorrhoe jedoch eine Sonderstellung ein. Idealerweise müssten Sie bei der symptomlosen Frau nicht nur eine Erststrahlurinuntersuchung (PCR) durchführen, sondern auch von Schleimhäuten Abstriche entnehmen (Mund, Urethra, Portio und Anus) und diese im Spezialmedium sofort ins Labor schicken. Dieser Aufwand ist einfach nicht realisierbar und es wird allgemein zur PCR-Untersuchung geraten. Einen schwerwiegenden Nachteil muss man dabei in Kauf nehmen: man bekommt kein Antibiogramm, sondern eine Empfehlung des Labors bezüglich der Antibiose. Für Europa ist sie zurzeit: Cefixim oral. Die DSTIG rät aber primär zu Ceftriaxon, da Neisserien aus Asien oft Resistenzen gegenüber Cefixim zeigen. Und so entsteht das nächste Problem: Ceftriaxon muss als Kurzinfusion gegeben werden. Und Sie müssen erst mal dafür eine Vene finden….

Auf der Homepage der deutschen Gesellschaft für sexuelle Gesundheit DSTIG sind viele Informationen zur sexuellen Gesundheit zu finden. Den neuesten Stand der Therapie von STIs kann man einer übersichtlichen Kitteltaschenbroschüre entnehmen, die bei der DSTIG angefordert werden kann. Interessant sind die Jahrestagungen und Fortbildungen der Gesellschaft, zum Beispiel das „Curriculum zur Sexuellen Gesundheit und STI„ eine neue Fortbildung: „STI und Sexuelle Gesundheit“ – Termine 2017 in Berlin & Bochum (http:// www.dstig.de).

Weitere wichtige Informationsquellen: https://www.bzga.de und http://berufsverband- sexarbeit.de/ Für Ihre Patientinnen: www.liebesleben.de

Passen Sexarbeiterinnen in Ihre Praxis?

„Wenn es um sexuell übertragbare Erkrankungen geht, muss ich ins Gesundheitsamt, weil die Untersuchung bei meiner Frauenärztin viel Geld kostet – so viel, dass ich dafür zwei Kunden mehr brauche. Das ist nicht so einfach zu verkraften.“
Für Sexarbeiterinnen brauchen Sie keine Spezialsprechstunde. Die gibt es auch, zum Beispiel für die Minderheit unter den Sexarbeiterinnen, die Drogen konsumieren und oft obdachlos sind. Den meisten Sexarbeiterinnen sehen Sie ihre Tätigkeit nicht schon von weitem an, sie geben sich noch mehr als andere Frauen Mühe, nicht aufzufallen.
Im Gesundheitsamt wird die STI-Diagnostik kostenlos angeboten. Dies ist auch im Interesse der Allgemeinheit. In der Praxis bei Sexarbeiterinnen STIs auszuschließen, ist selbstverständlich eine Kassenleistung, wenn ein Verdacht vorliegt, oder Ihre Patientin von einer Risikosituation berichtet hat. Diagnostische Maßnahmen bezüglich HIV und Syphilis (nicht namentlich meldepflichtig gemäß Infektionsschutzgesetz) können über die EBM-Kennziffer 32006 außerhalb des üblichen Laborbudgets abgerechnet werden, alle STI Untersuchungen bei Schwangeren über 32007.
Aber wie sieht es mit Absicherungswünschen aus, die Ihnen übertrieben vorkommen? Wenn ständig anlassunabhängige Kontrollen verlangt werden?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Ein offenes Gespräch kann Verständnis auf beiden Seiten erzeugen und jede Kassenärztin muss am Ende individuell entscheiden. Sexarbeiterinnen können durchaus sehr ängstlich sein, oder sogar eine Angststörung haben.

Und der Umgang mit Ängsten ist nicht einfach, ausreden lassen sie sich nicht…

Sexarbeit muss nicht auf der Überweisung stehen, die meisten Frauen möchten diese Art von Veröffentlichung (noch) nicht. Die Aktion „Roter Schuh“ dient der Vorabverständigung zwischen Sexarbeiterinnen und Frauenärzten. Sie als Ärztin oder Arzt signalisieren damit: Sie sind hier willkommen und werden respektvoll und professionell behandelt. Und für die Sexarbeiterin bedeutet das Symbol, dass sie offen sprechen kann, professionell behandelt wird und keine Angst haben muss, verächtlich oder grob behandelt zu werden.

Haben Sie das Gefühl einer Zumutung? Sie werden sehen, dass sich Ihr Engagement für Sie lohnt. Ihre Kompetenz als Frauenärztin oder Frauenarzt wird zunehmen, sie werden wichtige Erfahrungen sammeln und Vorurteile abbauen. Und Sie werden viel Anerkennung bekommen!

Was sich Sexarbeiterinnen von ihren FrauenärztInnen wünschen

  • Sie möchten akzeptiert und mit Respekt behandelt werden
  • Darüber hinaus wünschen sie sich professionelle Kompetenz bezüglich sexuell übertragbarer Erkrankungen, ihrer Vorbeugung, Diagnostik und Therapie
  • Sie wünschen sich ein offenes Ohr, wenn sie einmal besondere Probleme haben, die sie ängstigen, wie zum Beispiel nach risikoreichen sexuellen Praktiken.
  • Sie wünschen sich, dass Gespräche über Sexualität möglich sind und Ihr Frauenarzt oder ihre Frauenärztin dafür Zeit findet

Was Sexarbeiterinnen nicht brauchen

  • Unerwünschte Ratschläge kommen – nicht nur bei Sexarbeiterinnen! – einfach nicht gut an.
  • Die meisten Sexarbeiterinnen haben bezüglich „safer sex“ gute Kenntnisse. Sie müssen nicht erzogen oder ermahnt werden.
  • Eine „softe“ Seite der Ablehnung erleben sie im „Rettungsversuch“. Alle Sexarbeiterinnen machen sich Gedanken über ihre Tätigkeit, meist schon sehr lange. Sie brauchen keine vereinfachenden Erklärungen ihrer eher komplizierten Welt, keine simple Aufteilung von Gut und Böse.

 

Zur Autorin:

Dr. Dorothee Kimmich-Laux ist Biologin und Frauenärztin. Sie war als Frauenärztin niedergelassen mit psychosomatischem Schwerpunkt, fortgebildet in Sexualmedizin und Psychoonkologie. Über viele Jahre war sie Dozentin für Frauenheilkunde im Rahmen der Weiterbildung „Psychosomatische Grundversorgung für Frauenärzte“. Seit 2013 arbeitet sie bei „ragazza“, einer Einrichtung für drogenkonsumierende Sexarbeiterinnen in Hamburg St. Georg.

Slide Gyne 04/2017 Sexarbeit und sexuelle Gesundheit - Was hat die Frauenheilkunde mit der Prostitution zu tun?

Gyne 03/2017 – Myome im klinischen Alltag

Gyne 03/2017
Myome im klinischen Alltag

Autorin: Katarina Dennis

 

Die sicher benignen Leiomyome des Uterus sind die häufigsten Tumore der Frau im reproduktiven Alter und begegnen uns fast täglich im klinischen Alltag. Unsere Aufgabe als Arzt/Ärztin ist es, die Patientin entsprechend ihres Alters, ihrer Lebenssituation und ihrer Beschwerdesymptomatik zu beraten und gegebenenfalls zu operieren. Hier gibt es ein breites Feld an Therapiemöglichkeiten, wovon nachfolgend nur auf die operativen, nicht jedoch auf die interventionellen Therapiemöglichkeiten, wie z. B. die Embolisation der A. uterina oder die MRT gesteuerte, hochfokussierte Ultraschalldestruktion eingegangen wird. Laut Robert- Koch-Institut beträgt die Prävalenz von Myom-Trägerinnen in Deutschland etwa 30% [1], doch nur 30−50 % haben Beschwerden [2, 3]. 

Symptomatische Myome äußern sich in den meisten Fällen durch Blutungsstörungen. Dies zeigt auch eine internationale Studie mit 21.500 Frauen, bei der 60 % aller Myom- Patientinnen über eine, zumTeil anämisierende, Hypermenorrhoe berichteten [4]. Metrorrhagien, Zusatzblutungen und Dysmenorrhoen sind weitere, häufig beschriebene Symptome. Man unterscheidet zwischen submukösen, intramuralen, subserösen und intraligamentären Leiomyomen. In Abhängigkeit der Lokalisation unterscheidet sich sowohl die Symptomatik, als auch das therapeutische Vorgehen. Submuköse Leiomyome imponieren vor allem durch Dys- und Hypermenorrhoe, intramurale Leiomyome fallen infolge der engen Beziehung zum Endometrium meistens durch Blutungsstörungen auf. Subseröse oder gestielte Leiomyome werden vor allem durch eine Verdrängung der umliegenden Organe oder Schmerzen symptomatisch [4]. Aufgrund der genannten Beschwerdesymptomatik und einer möglichen Interferenz mit der Fertilität, stellen Leiomyome eine häufige Indikation für eine operative Intervention dar. Die Therapie richtet sich nach dem Beschwerdebild und dem klinischen Befund. Asymptomatische Leiomyome stellen auch nach den 2015 veröffentlichten Leitlinien derDGGG[5] keine Indikation für eine medikamentöse oder operative Therapie dar. Ausnahmen bilden klinisch suspekte Befunde mit Malignitätsverdacht.

Zur Behandlung submuköser Myome mit Blutungsstörungen oder bei Kinderwunsch ist die hysteroskopische Myomresektion die Therapie der Wahl. Eine vaginale Hysterektomie oder laparoskopisch-assistierte vaginale Hysterektomie ist kleineren Uteri vorbehalten und häufig in der Deszensuschirurgie anzutreffen. Ihr Stellenwert wird durch die zunehmende Verbesserung der laparoskopischen Technik jedoch geringer, trotzdem bleibt die vaginale Hysterektomie nach wie vor der Goldstandard – wenn operationstechnisch möglich. Bedauerlicherweise wird sie immer weniger gelehrt und der Ausbildungsstand der jüngeren KollegInnen begrenzt sich zunehmend auf das Laparoskopische. Auch abdominelle Operationsverfahren werden heute in der Regel weniger durchgeführt.

Aufgrund der im Vergleich zu laparoskopischen Eingriffen erhöhten Rekonvaleszenz-Zeit und der erhöhten Komplikationsrate (Wundheilungsstörungen, Thrombosen) [6], sollten die abdominelle Hysterektomie und Myomenukleation den besonders großen Befunden, sowie der onkologischen Chirurgie vorbehalten sein.

Bei den endoskopischen Verfahren kommt, je nach Alter der Patientin, vorhandenem Kinderwunsch, Myomgröße und -anzahl, entweder die organerhaltende Myomenukleation oder die definitive Sanierung durch eine Hysterektomie (Totale laparoskopische Hysterektomie [TLH] versus suprazervikaler Hysterektomie [SLH]) in Frage. Bestehen bei einem Myom Zusatzblutungen oder ist das Cavum des Uterus sonographisch auffällig, sollte zum Ausschluss von Malignität vor diesen Eingriffen eine Hysteroskopie mit fraktionierter Abrasio erfolgen. Sonographisch suspekt auf ein Sarkom sind z. B. Tumoren größer 5–8 cm mit einer veränderten Echogenität gegenüber dem Myometrium, meist im größten vorhandenen Tumor. Charakteristisch sind weiterhin entrundete Tumoren mit bizarren, unscharfen Grenzen zum Myometrium sowie zystische Strukturen und Nekrosen. Häufig liegt eine zentrale Hypervaskularität vor. Berücksichtigen muss man, dass eine Abrasio aufgrund der häufig intramuralen Lokalisation von Sarkomen einen unauffälligen Befund und somit eine falsche Diagnose ergeben kann [7–9]. Ist das histologische Ergebnis trotz klinischer Auffälligkeiten ohne Anhalt für Malignität, sollte trotzdem von einer tumorverletzenden Operation abgesehen werden.

Vorteile des endoskopischen Verfahrens sind der geringere Blutverlust, weniger Adhäsionen, die schnelle Rekonvaleszenz, eine kürzere Hospitalisation, die Reduktion des postoperativen Schmerzes und das günstige kosmetische Ergebnis [10–13]. Voraussetzung sind gute, laparoskopische Fähigkeiten des Operateurs, denn vor allem bei größeren Myomen werden hohe Ansprüche, wie z. B. eine suffiziente Nahttechnik, an den jeweiligen Operateur gestellt. Insbesondere für eine eventuell angestrebte Schwangerschaft sind die Vermeidung eines hohen Blutverlustes und die Schonung des umliegenden Gewebes von Bedeutung.

Für eine gezielte präoperative Anamnese sollte das genaue Beschwerdebild, das Blutungsverhalten sowie die Schwangerschafts- und Medikamentenanamnese erfragt werden. Gegebenenfalls sind auch Informationen zur Wachstumsgeschwindigkeit des/der Myom(s/e) von der Patientin zu erhalten. Sowohl die ACOG (American College of Obstetricians and Gynecologists) [14] als auch die DGGG sehen ein schnelles Wachstum als Indikation für eine Hysterektomie jedoch kritisch [14], da keine einheitliche Definition für das „schnelle Wachstum“ existiert und die Einschätzung vorrangig subjektiv erfolgt. In der aktuellen Leitline der AWMF zur Indikation und Methodik der Hysterektomie bei benignen Erkrankungen werden weniger als 0,5 %der „rasch wachsenden“ Leiomyome als Sarkome beschrieben [6]. Zur Bergung des/der enukleierten Myom(s/e) oder des Uterus bedarf es beimendoskopischen Vorgehen − sowohl bei derMyomenukleation als auch bei der SLH und zumTeil auch der TLH − einer Zerkleinerung des Gewebes. Dies kann durch manuelles Zerkleinern oder durch ein elektrisches Morcellement, z. B. mit einem Power Morcellator, erfolgen. Für diesen gibt es seit Februar 2014 eine weltweite Einsatzwarnung der FDA (Food and Drug Administration) [15]. Jede Patientin, bei der im Rahmen einer Endoskopie die Möglichkeit des Einsatzes eines Morcellators besteht, muss präoperativ über das Risiko einer Tumorzellverschleppung im Falle eines Malignoms aufgeklärt werden [16]. Zu der Aufklärung gehört ebenfalls der Hinweis auf eine Prognoseverschlechterung durch eine potentielle Tumorzellverschleppung bzw. auf eine entstandene RXSituation [17]. Ausgenommen sind hier bereits präoperativ suspekte Befunde, die selbstverständlich nicht morcelliert werden sollten.

Die Aufklärung der Patientin durch den operierenden Arzt ist ambivalent für beide Seiten. Die Patientin wird mit einer nicht zu erwartenden, aber möglichen Sarkom-Diagnose konfrontiert, welche in diesem Fall auch noch mit einer schlechteren Prognose verbunden sein könnte. Dabei ist die Patientin doch „nur“ für eine Myom Operation, bzw. Hysterektomie vorstellig geworden! Ganz natürliche Ängste werden so geweckt oder verstärkt, Unsicherheiten treten auf. Die aufklärende Person, im besten Fall der Operateur, sollte das Gespräch so führen, dass die Patientin die Problematik einerseits versteht, andererseits jedoch nicht in Panik gerät und sich am Ende gegen einen endoskopischen Eingriff und damit auch gegen ein organerhaltendes Vorgehen entscheidet. Solch ein Gespräch kann nicht unter Zeitdruck geführt werden.

Mit der Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Sarkom-Risikos im Rahmen einer laparoskopischen Myom- Operation, beschäftigen sich aufgrund der Aktualität einige Studien. Bei der von der FDA im April 2014 herausgegebenen Warnung vor Power-Morcellatoren, wurde das Risiko eines zufällig entdecken uterinen Sarkoms im Rahmen einer Myom- Enukleation oder Hysterektomie mit 1:352 angegeben [18]. Nach Betrachtung der aktuellen Literatur lassen sich diese Zahlen nicht bestätigen. Bei einer aktuellen Arbeit aus den USA mit einem Kollektiv von 10.119 hysterektomierten Frauen (aufgrund benigner gynäkologischer Indikationen) ergab sich ein allgemeines Sarkom-Risiko von 1:1.124 und ein Leiomyosarkom- (LMS)-Risiko von 1:2.024 [19]. Eine andere deutsche Studie zeigte unter 10.731 SLH-Patientinnen ein LMSRisiko von 1:5.555 [20]. Laut einem  Positionspapier der DGGG liegt das Risiko,während einer Hysterektomie mit Uterotomie und/oder Myomektomie auf den Zufallsbefund eines Uterussarkoms zu treffen, bei ca. 1/416 (0,24 %). Eine genauere Abschätzung ist derzeit nach Bewertung der aktuellen Literatur nicht möglich [15].

Ein wesentliches Problem ist die Tatsache, dass bislang keine verlässlichen klinischen Daten existieren, die eine weitgehend sichere Unterscheidung der Myome zu den uterinen Sarkomen erlauben. Aufgrund der vielfältigen Morphologie der Sarkome, werden sie makroskopisch nicht selten für Myome gehalten. Insbesondere bei einem Uterus myomatosus multilocularis, kann ein Sarkom übersehen werden. Hilfreich wäre hier die Etablierung eines speziellen Risiko-Scores für die Verwendung im klinischen Alltag, welcher das Risiko eines zufällig entdeckten und inadäquat behandelten Sarkoms zwar nicht gänzlich ausschließt, jedoch zu einer Reduktion führen und die diagnostische und forensische Sicherheit erhöhen könnte. So hat das Deutsche Klinische Kompetenzzentrum für genitale Sarkome und Mischtumoren an der Universitätsklinik Greifswald unter der Leitung von Prof. Dr. G. Köhler z. B. einen Leiomyosarkom Risiko-Score zur Differenzierung vom Leiomyomen entwickelt, welcher beim DGGG 2016 präsentiert wurde. Bewährt hat sich in der Klinik eine spezielle Myom- Sprechstunde. Die Überweisung erfolgt in der Regel durch den betreuenden Gynäkologen, der die Patientin in einem Erstgespräch über den Befund informiert. Vor dem Zweit-Gespräch in der Klinik hat die Patientin dann die Möglichkeit sich gezielt Fragen zu überlegen, gegebenenfalls eigene Recherche zu betreiben und sich durch etwas Abstand mit dem Gedanken einer eventuell erforderlichen Operation auseinander zu setzen. Die unterschiedlichen Operationsmöglichkeiten können anhand von Skizzen und Bildern gut erläutert werden, was die spätere, präoperative Aufklärung und Vorbereitung erleichtert. Insbesondere die Unterschiede zwischen einer TLH und einer SLH sind für viele Frauen ein wichtiger Diskussionspunkt. Eine SLH ist für Frauen, welche Schwierigkeiten mit der Vorstellung einer Organamputation haben, eine gute Alternative. Das Wissen um die „vaginale Unversehrtheit“ kann wichtig sein für das postoperative Sexualverhalten, auch wenn sich durch eine Metaanalyse randomisierter Studien bestätigt hat, dass Langzeitergebnisse keinen Unterschied bezüglich Sexualität, Inkontinenz oder eines Deszensus bei einer SLH versus TLH zeigten [21–23]. Für manche Frauen steht „ein Gefühl“, das durchaus ernst zu nehmen ist, der wissenschaftlichen Datenlage gegenüber. Voraussetzung für eine SLHist natürlich auch die Compliance bzgl. der jährlichen Vorsorge und eine vorab unauffällige Cervix-Zytologie. Andere Patientinnen fragen nach der „maximalen Sicherheit“. Was genau ist jedoch damit gemeint? Die Sicherheit keine Blutungen mehr zu bekommen oder die Sicherheit mit einer TLH auch dem Zervix-Karzinom vorzubeugen? Die Frage nach einer Blasensenkung mit etwaiger Inkontinenz wird ebenfalls häufig gestellt, hier klärt neben der aktuellen Datenlage ein Modell anschaulich über die anatomischen Verhältnisse auf.

Auch die Sorge vor einer verfrühten Menopause nach Hysterektomie kann der Patientin im Gespräch genommen werden. Gut aufgeklärte Patientinnen sind postoperativ zufriedener und zeigen auch bezüglich eines eventuell erforderlichen Komplikationsmanagements mehr Verständnis. Manchmal werden Frauen mit einem Myom als Zufallsbefund vorstellig, jedoch ohne bis dato spürbare Beschwerdesymptomatik. Eine Arbeitsgruppe um David [24] stellte in einer Publikation einen möglichen Einfluss der Informationen über den vorliegenden Befund auf das subjektive Beschwerdeempfinden fest. Dieses – als beratender Arzt/Ärztin wahrzunehmen – vermeidet unnötige Eingriffe. Gerade im Hinblick auf mögliche Schwangerschaften müssen die Patientinnen auch über das Risiko einer Uterusruptur nach Myom- Enukleation aufgeklärt werden. Eine entsprechende Geburtsmodus- Empfehlung sollte im Operationsbericht vermerkt sein.

Die enge Zusammenarbeit mit dem betreuenden Gynäkologen, der die Patientin in der Regel länger kennt und nach der Operation weiter betreut, ist für alle Beteiligten hilfreich. Bei Informationsveranstaltungen für niedergelassene Kollegen können Kliniken ihr operatives Spektrum darstellen und Vorurteile gegenüber neueren Operationsmethoden diskutiert und eventuell abgebaut werden.

Fazit

Letztendlich sollte das Interesse aller Beteiligten darin liegen, der Patientin die bestmögliche und für sie akzeptable Therapie zu gewährleisten. Nach Möglichkeit sollten für die Behandlung von Myomen endoskopische Verfahren eingesetzt werden, sofern präoperativ keine klinischen Auffälligkeiten vorliegen, welche ein Morcellement verbieten. Bei einer sorgfältig durchgeführten präoperativen Anamnese, Untersuchung, Sonographie und Aufklärung, sollten Operateure/innen und betreuende Gynäkologen/innen die Endoskopie trotz der ausgesprochenen Warnung der FDA bezüglich des Einsatzes von Morcellatoren aufgrund der vielen Vorteile für die Patientinnen weiter durchführen und verteidigen!

Korrespondenzadresse

E katarina.dennis@me.com

Slide Gyne 03/2017 Myome im klinischen Alltag

Literaturverzeichnis

  1. Prütz F et al. Prävalenz von Hysterektomien bei Frauen imAlter von 18 bis 79 Jahren GBE kompakt 5[1]: Hrsg. Robert Koch-Institut Berlin; 2014 (Available from: http://edoc.rki.de/oa/artices/rebLpzQ3JZs2E/PDF/252VO5xTs5I.pdf)
  2. Blake RE. Leiomyomata uteri: hormonal andmolecular determinants of growth. J Natl Med Assoc. 2007; 99[10]: 1170–84.
  3. Gupta S, Jose J, Manyonda I. Clinical presentation of fibroids. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol. 2008; 22[4]: 615–26.
  4. Zimmermann A et al. Prevalence, symptoms and management of uterine fibroids: an international internet-based survey of 21,746 women. BMCWomens Health. 2012;12:6.
  5. AWMF. Indication and technics of hysterectomy for benigne diseases. Guideline of the German Society of Gynecology and Obstetrics (AWMF Registry No. 015/077, March 2015. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-070.html).
  6. Indication and technics of hysterectomy for benigne diseases. Guideline of the German Society of Gynecology and Obstetrics, AWMF Registry No. 015/077 (Internet). 2015. Available from: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-070.html.
  7. Deutsches klinisches Kompetenzzentrum für genitale Sarkome und Mischtumoren an der Universitätsmedizin Greifswald [DKSM] und Kooperationspartner VAAO Deutschland und FK Frankfurt/Sachsenhausen. Datenbank und Promotions- und Forschungsgruppe genitale Sarkome (Internet). 2016. Available from: http://www.medizin.unigreifswald.de/gyn/dksm/
  8. Bansal N et al. The utility of preoperative endometrial sampling for the detection of uterine sarcomas. Gynecol Oncol. 2008; 110[1]: 43–8.
  9. Stemme S, Ghaderi M, Carlson JW. Diagnosis of endometrial stromal tumors: a clinicopathologic study of 25 biopsy specimens with identification of problematic areas.Am J Clin Pathol. 2014; 141[1]: 133–9.
  10. Palomba S et al. A multicenter randomized, controlled study comparing laparoscopic versus minilaparotomic myomectomy: short-term outcomes. Fertil Steril. 2007; 88[4]: 942–51.
  11. Agdi M, Tulandi T. Endoscopic management of uterine fibroids. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol. 2008; 22[4]: 707–16.
  12. Nieboer TEet al. Surgical approach to hysterectomy for benign gynaecological disease. Cochrane Database Syst Rev. 2009 [3]: CD003677.
  13. Bhave Chittawar P, Franik S, Pouwer AW, Farquhar C. Minimally invasive surgical techniques versus open myomectomy for uterine fibroids. Cochrane Database Syst Rev. 2014 [10]: CD004638.
  14. American College of O, Gynecologists. ACOG practice bulletin. Alternatives to hysterectomy in the management of leiomyomas. Obstet Gynecol. 2008; 112[2 Pt 1]: 387–400.
  15. Beckmann MW, Juhasz-Boss I, Denschlag D, Gass P, Dimpfl T, Harter P, et al. Surgical Methods for the Treatment of Uterine Fibroids – Risk of Uterine Sarcoma and Problems of Morcellation: Position Paper of the
    DGGG. Geburtshilfe Frauenheilkd. 2015; 75[2]: 148–64.
  16. Denschlag Det al. Sarcoma of the Uterus. Guideline of the DGGG [S2k-Level, AWMF Registry No. 015/074, August 2015]. Geburtshilfe Frauenheilkd. 2015; 75[10]: 1028–42.
  17. Seidman MA et al. Peritoneal dissemination complicating morcellation
    of uterine mesenchymal neoplasms. PLoS One. 2012; 7[11]: e50058.
  18. Wallis L. FDAwarns against power morcellation for hysterectomy and fibroids. Am J Nurs. 2014; 114[7]: 16.

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Gyne 01/2017 – Weibliche Genitalverstümmelung – gesundheitliche Folgen

Gyne 01/2017
Weibliche Genitalverstümmelung – gesundheitliche Folgen

Autorin: Mechthild Neises

 

Die Häufigkeit der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM, Female Genital Mutilation) betrifft weltweit etwa zweihundert Millionen Frauen und Mädchen. Diese Zahlenangaben berufen auf Schätzungen der WHO. Die FGM wird seit über 2000 Jahren durchgeführt, dabei ist der Ursprung dieser Tradition unklar. Belege für einen religiösen Hintergrund gibt es nicht. So wird FGM nicht nur von Moslems, sondern auch von Christen (Katholiken, Protestanten und Kopten) Juden und Atheisten praktiziert. In vielen Gebieten ist sie Teil eines Initiationsrituals und Teil der kulturellen Tradition. Verbreitet ist die FGM in 29 Ländern Afrikas, aber auch in wenigen arabischen und asiatischen Ländern. Derzeit wird davon ausgegangen, dass insbesondere unter dem Zustrom von Flüchtlingen aus dem arabischen/nordafrikanischen Raum in Deutschland 50.000 Frauen betroffen sind. Der Eingriff erfolgt nicht nur bei jungen Mädchen, sondern auch schon bei Säuglingen und Kleinkindern.

  • Die Zahlen zeigen, dass die weibliche Genitalverstümmelung insbesondere in Teilen Afrikas weit verbreitet ist.
  • Die FGM ist ein verstümmelnder Eingriff mit vielfältigen medizinischen, psychischen und sozialen Folgen.
  • Die meisten Frauen nach FGM leben in 29 afrikanischen Staaten und in einigen wenigen Ländern Asiens und des mittleren Ostens. Das Alter, in dem FGM durchgeführt wird variiert zwischen den Ländern und liegt zwischen wenigen Monaten bis 15 Jahren [1, 2].
  • Insbesondere Terres des femmes e.V. ist ein Verein, der sich mit großem Engagement gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen wendet. Dazu stellt der Verein in einer Broschüre die Vorurteile zusammen unter der Einleitung „man sagt“, dass die Beschneidung die Reinheit und die Jungfräulichkeit eines Mädchens sowie die Treue der Ehefrau sichert, dass die Beschneidung der weiblichen Genitalien die Fruchtbarkeit der Frau erhöht, dass die Religion die Beschneidung weiblicher Genitalien vorschreibt und dass die Bräuche und Traditionen respektiert werden müssen.

Das Argument der Tradition führt zu einem ausgeprägten sozialen Druck innerhalb einer Ethnie. Von medizinischer Seite ist eindeutig, dass es keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit hat und Terre des femmes stellt klar, es gibt keinen Grund für die Beschneidung der Genitalien von Mädchen und Frauen. Niemand könne den Eingriff damit rechtfertigen, Gutes zu tun oder die Tradition zu befolgen. Auch die Einwilligung der Eltern oder der betroffenen Frau ist keine Rechtfertigung und es gibt auch kein religiöses Gebot, auf das man sich berufen könnte. Inzwischen haben sich zahlreiche Initiativen und Vereine begründet, um die weibliche Beschneidung aus der Tabu-Zone zu holen, z.B. der Verein Stop mutilation e.V. Dieser engagiert sich seit 1996 gegen die weibliche Genitalbeschneidung in Deutschland und Somalia. Die derzeitige Geschäftsführerin Jawahir Cuma hält engagierte Vorträge, so in der Fortbildung 2016 in Aachen „Genitalbeschneidung. Trauma für die  Betroffenen – Herausforderung für ärztliches Handeln“ unter dem Thema „Aufklären und Überzeugen statt Verurteilen: Umgang mit betroffenen Frauen und Mädchen“. Die Forderungen sind Information und Aufklärung der Betroffenen. Sowohl in Deutschland als auch in den Herkunftsländern und auf der anderen Seite auch Aufklärung und Information für Ärztinnen und Ärzte und andere Heilberufe. So stellt J. Cuma ein interessantes Projekt vor mit Engagement in Somalia, wo ehemalige Beschneiderinnnen selbst zusammen mit Ärzten in die Dörfer gehen, informieren und dabei die Beschneidung selbst kritisch bewerten. Die Bedeutung einer Veränderung der
Einstellung in der Bevölkerung unterstreicht auch die Untersuchung von Pechmann et al. [3]. Von den Autoren wurden Befragungen in Äthiopien ausgewertet, dabei zeigte sich, dass sowohl die Symptome einer PTBS als auch von Angst und Depression bei FGM-Typ III im Vergleich zu FGM-Typ I milder ausfielen in Abhängigkeit von einer FGM-bejahenden Einstellung.

Auch für Deutschland gilt Information und Aufklärung statt strafrechtlicher Verschärfung. Das Thema braucht auch einen sensiblen Umgang im sozialen Netz. So sollte es nicht zu einer sozialen Ächtung der Mütter und Großmütter führen, die die Beschneidung ihrer weiblichen Nachkommen als ihre soziale Pflicht ansehen. Schließlich geht es auch darum, den Beschneiderinnnen eine
andere neue Berufsperspektive und damit eine Einkommensquelle zu geben. Rhoda Koross, Ansprechpartnerin im Amt für Diakonie des evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln, Migrantin aus Kenia, widerspricht auch vehement dem Vorwurf, dass die Verhinderung der Beschneidung eine Form des „Kulturimperialismus“ sei und betont, dass diese in den Prävalenzländern verankerte, nicht religiös motivierte Tradition klar im Gegensatz zu den Menschenrechten stehe [4].

Formen der Genitalverstümmelung entsprechend der WHO-Klassifikation ([5]

Typ I – partielle oder totale Klitoridektomie, auch „Sunna“ genannt
Partielle oder totale Entfernung der Klitoris und/oder des Präputiums (Vorhaut der Klitoris). Wenn es wichtig ist zwischen den Hauptformen der Typ I-Verstümmelung zu unterscheiden, werden die folgenden Untergruppen empfohlen:
Typ Ia: Entfernung der clitoral hood oder des Präputiums alleine;
Typ Ib: Entfernung der Klitoris mit dem Präputium.

Typ II – „Exzision“
Partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Labien, mit oder ohne Exzision der großen Labien.Wenn es wichtig ist, zwischen den Hauptvarianten in der Dokumentation zu unterscheiden, werden die folgenden Untergruppen vorgeschlagen:
Typ IIa: Entfernung der kleinen Labien ausschließlich;
Typ IIb: partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Labien;
• Typ IIc: partielle oder vollständige Entfernung der Klitoris, der kleinen und der großen Labien.

Typ III – „Infibulation“ oder „pharaonische Beschneidung“
Verengung des Scheideneingangs mit der Bildung einer bedeckenden Vernarbung durch Beschneidung und Aneinanderfügen der kleinen und/oder großen Labien, mit oder ohne Exzision der Klitoris. Wenn es wichtig ist zwischen verschiedenen Formen der Infibulation zu unterscheiden, wird die folgende Unterteilung vorgeschlagen:
Typ IIIa: Entfernung und Aneinanderfügen der kleinen Labien;
Typ IIIb: Entfernung und Aneinanderfügen der großen Labien.

Typ IV – Alle anderen verletzenden Prozeduren am weiblichen Genitale aus nicht-medizinischen Gründen, zum Beispiel: Stechen, Piercen, Schneiden, Ritzen, Kratzen und (aus-)Brennen.

Rechtliche und ethische Bewertung

Die weibliche Genitalverstümmelung wird in den betreffenden Ländern meist nicht von Ärzten durchgeführt und ist sozial akzeptiert. In Deutschland ist dieser Eingriff als
– Körperverletzung (§ 223 StGB),
– gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB),
– u. U. schwere Körperverletzung (§ 226 StGB)
– sowie Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) strafbar.

Dies gilt auch, wenn der Eingriff auf Verlangen der Patientin ausgeführt wird. 2013 wurde das Strafmaß für die weibliche Genitalbeschneidung (FGM) auf bis zu 15 Jahre Haft heraufgesetzt und wurde damit zu

– einem eigenen Straftatbestand gemäß § 226a StGB und nicht mehr wie bisher unter Körperverletzung subsummiert.

Der Eingriff und die ärztliche Beteiligung daran werden abgelehnt. Die (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte hält in der Generalpflichtklausel des § 2, Absatz 2 fest:
„Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen.“

Außerdem bestimmt § 2 Absatz 1 der (Muster-)Berufsordnung:
„Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihremGewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können.“

Die Ärzteschaft hat sich auch im Rahmen der Deutschen Ärztetage 1996 und 1997 in Köln mit dem Thema befasst (99. und 100. Deutscher Ärztetag) mit folgendem Inhalt:
„Gemäß der Generalpflichtenklausel der Berufsordnung für die deutschen Ärzte ist die Vornahme derartiger Praktiken berufsrechtswidrig. Durch die genitalen Verstümmelungen werden Mädchen und Frauen fundamentale Menschenrechte, wie das Recht auf Leben und Entwicklung sowie das Recht auf physische und psychische Integrität, verweigert.“ [6]

Versorgungssituation betroffener Frauen

Zur Versorgungssituation beschnittener Frauen in Deutschland hat der Berufsverband der Frauenärzte zusammen mit UNICEF und Terre des femmes [7] eine Befragung durchgeführt. Die Ausgangssituation ist, dass circa 60.000 Afrikanerinnen aus Ländern, die Beschneidung praktizieren, in Deutschland leben [8]. Nach Schätzungen von Terre des femmes sind etwa 30.000 dieser Mädchen und Frauen von Genitalbeschneidung betroffen. Bei der Befragung von Frauenärztinnen und Ärzten geben circa 43 % an, eine beschnittene Frau in ihrer Praxis behandelt zu haben (circa 500 Rückantworten). Tabelle 1 zeigt von 67 % der Frauen die Anlässe der Beratung und Behandlung (Mehrfachnennungen) aus Sicht des Frauenarztes/der Frauenärztin, sowie die Erfahrungen der Frauenärzte/der Frauenärztinnen.

Tab. 1: Umfrage zur Situation beschnittener Mädchen und Frauen in Deutschland

  • 43 % der Frauenärztinnen und -ärzte haben eine beschnittene Frau in ihrer Praxis behandelt
  • 27 % der Frauen kam wegen einer Schwangerschaft oder bevorstehenden Entbindung
  • 17 % kamen im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen
  • 15 % kamen wegen chronischer Schmerzen
  • 30 %der Frauenärzte hatte eine beschnittene Frau während der Geburt betreut
  • 69 % hatten keine Erfahrung auf diesem Gebiet
  • An 7 % wurde das Anliegen einer Reinfibulation (Wiederzunähen bis auf eine kleine Öffnung) herangetragen
  • 7% wussten von Patientinnen, die ihre Töchter in der Heimat beschneiden lassen wollten

Quelle: „Schnitte in Körper und Seele“ nach Beilage in der Verbandszeitschrift „Der Frauenarzt“ mit 493 Rückantworten

Auch Hänselmann et al. [9] haben eine Befragung bei 260 niedergelassenen Gynäkologen durchgeführt mit folgendemErgebnis:

  • In 14 (6,3 %) der 223 teilnehmenden Arztpraxen waren insgesamt 37 Frauen mit FGM in Behandlung
  • Die Entfernung der Klitoris mit partieller oder totaler Entfernung der kleinen Labien (FGM-Typ II) war mit 58,3% die häufigste Form
  • Die meisten Frauen stammten aus Eritrea (43,5%) oder Somalia (26,9%)
  • Bei 28,6 %der Frauen wurde die FGM bereits im Säuglingsalter durchgeführt.

Vielleicht erscheinen die Zahlen relativ klein, dennoch ist es für den einzelnen Arzt, die einzelne Ärztin wichtig informiert und vorbereitet zu sein. Einen typischen Verlauf zu den Folgen der Beschneidung (FGM) zeigt die folgende Kasuistik [10].

Eine 21-jährige Frau, die aus Somalia eingewandert war, stellte sich in der gynäkologischen Praxis wegen chronischer Unterleibsschmerzen, Dysmenorrhoe und Miktionsproblemen vor – eine typische Symptomtrias nach FGM. Im Alter von etwa 11 Jahren wurde die Beschneidung in Somalia durchgeführt. Bei der gynäkologischen Untersuchung ließen sich Klitoris, kleine und große Labien nicht darstellen und die Sondierung zeigte eine 2 mm große Öffnung im Bereich der hinteren Kommissur. Aufgrund der Beschwerden hatte die junge Frau den Wunsch die Beschneidung korrigieren zu lassen und wurde darin von ihren Angehörigen unterstützt.

Erfahrung mit solchen Bilddokumentationen zu haben ist wichtig, um nicht in einer Untersuchungssituation vielleicht überrascht zu werden oder mit Unkenntnis zu reagieren. Umfangreiche Dokumentationen dazu werden in diversen Vorträgen von PD Dr. med. Dan mon O’ Dey vorgestellt, der ein Zentrum für rekonstruktive Chirurgie weiblicher Geschlechtsmerkmale in Aachen, Luisenhospital, etabliert hat. Wer Interesse an den praktischen Erfahrungen, insbesondere auch an der operativen Korrektur hat, würde sicherlich von einer Hospitation dort profitieren [11].

Für den Umgang mit den betroffenen Frauen ist von ärztlicher Seite wichtig, die kulturellen Hintergründe zu verstehen. So wird in den meisten Regionen Afrikas von Beschneidung gesprochen oder davon, ob eine Frau „offen“ oder „geschlossen“ ist. Gleichzeitig ist damit auch eine Wertung verbunden. So kann alleine der Begriff „offen sein“ bezogen auf eine Frau eine massive Entwertung darstellen. Wie eine betroffene Frau selbst sagte „ich brauche kein Mitleid“, aber wichtig ist ein sensibler, respektvoller Umgang. So ist die Empfehlung betroffenen Frauen gegenüber von „Beschneidung“ zu sprechen, um sie mit der Wortwahl „Verstümmelung“ nicht zusätzlich zu stigmatisieren [12].

Folgen weiblicher Genitalverstümmelung

Die Folgen umfassen vielfältigste akute und chronische Probleme[13]. Zu den akuten Problemen und Komplikationen gehören Verletzungen, Blutungen, Infektionen und Miktionsprobleme (Tab. 2).

Tab. 2: Folgen weiblicher Genitalverstümmelung – Akute Komplikationen

Infektion:
• Lokalinfektion, Abszessbildung
• Allgemeininfektion, Septischer Schock
• HIV-Infektion
• Tetanus, Gangrän
Probleme beimWasserlassen:
• Urinretention
• Ödem der Urethra
• Dysurie
Verletzung:
• Verletzung benachbarter Organe
• Frakturen (z. B. Femur, Clavicula, Humerus) bei Fixierung während des Eingriffs
Blutung:
• Hämorrhagie, Anämie, Schock
• Tod

Diese Probleme setzen sich oft chronisch fort mit Komplikationen im Bereich des Narbengewebes, mit Problemen beim Wasser lassen, mit chronischen Infektionen und Problemen im Kontext von Sexualität und Menstruation (Tab. 3).

Tab. 3: Folgen weiblicher Genitalverstümmelung – Chronische somatische Komplikationen

Chronische Infektionen:
Chronische Vaginitis, Endometritis, Adnexitis
Sexualität/Menstruation:
Dyspareunie/Apareunie, Vaginalstenose, Infertilität/Sterilität, Dysmenorrhoe, Menorrhagie
Probleme beim Wasserlassen:
Rezidivierende Harnwegsinfektion, Prolongiertes Wasserlassen, Inkontinenz, Vaginalkristalle
Komplikationen des Narbengewebes:
Abszessbildung, Keloidbildung/Dermoidzysten/Neurinome, Hämatokolpos

Im Rahmen der chronischen Folgen von FGM kommt es zu Zystenbildungen, dies beschreibt die folgende Kasuistik [14]:
Ein 8-jähriges Mädchen aus Eritrea wurde mit einer größenprogredienten Raumforderung im Bereich der Vulva in der kinderchirurgischen Notfallambulanz vorgestellt. Vorausgegangen war in Eritrea im Säuglingsalter eine Entfernung der Klitoris mit partieller Entfernung der kleinen Labien. In der beschriebenen Notfallsituation erfolgte die chirurgische Exzision der etwa 4 cm großen Zyste (histologisch eine traumatische Plattenepithelzyste der Vulva) mit Labienrekonstruktion.

Dun et al. [15] beschreiben eine ähnliche Kasuistik:
Eine 30-jährige aus dem Sudan stammende Frau, die im Alter von 5 Jahren beschnitten wurde, litt seit 8 Jahren unter der Größenzunahme einer epidermalen Inklusionszyste oberhalb der Harnröhre, bei Exzision 8×5 cm groß. Ziel der Operation war auch eine Wiederherstellung der Anatomie.

Epithelzysten und Dermoidzysten der Vulva nach FGM sind selten. Sie erfordern zwingend eine chirurgische Intervention. Ziel ist die Korrektur der Narbenbildung und von Verengungen und damit der Dyspareunie. Dies hilft die Lebensqualität der betroffenen Frauen sowie den Verlauf künftiger Schwangerschaften zu verbessern.
Die große Herausforderung für Frauenärztinnen und -ärzte liegt auch in der Begleitung von Frauen nach FGM und während der Schwangerschaft und der Geburt. Die Probleme liegen in einer erschwerten oder unmöglichen Vaginaluntersuchung und u.U. ist eine Katheterapplikation nicht möglich. Unter der Geburt ist dann auch die Messung des fetalen Skalp-ph nicht möglich. Oft ist die Austreibungsphase verlängert und in der Folge entstehen perineale Risse und Infektionen bis hin zu vesico-/rektovaginaler Fistelbildung, einer erhöhten postportalen Hämorrhagie und auch die perinatale Mortalität ist erhöht [13]. Neben diesen körperlichen Folgen und Komplikationen für Mutter und Kind sind die psychischen und die sozialen Folgen der FGMbedeutsam (Tab. 4).

Tab. 4: Psychische und soziale Folgen von FGM

  • Die Genitalverstümmelung hinterlässt meist ein schwerwiegendes unauslöschbares körperliches und seelisches Trauma.
  • Der gesamte Vorgang kann das Selbstwertgefühl beeinträchtigen und Ursache für psychische und Verhaltensstörungen sein.
  • Eine weitere schwerwiegende Folge ist der Vertrauensverlust des Mädchens in seine nächsten Bezugspersonen.
  • Langfristig können die betroffenen Frauen leiden unter:
    – dem Gefühl des Unvollständigseins,
    – Ängsten
    – Depressionen
    – chronischer Reizbarkeit
    – Sexualstörungen und
    – Partnerschaftskonflikten
  • Viele durch die Genitalverstümmelung traumatisierte Frauen haben keine Möglichkeiten, ihre Gefühle und Ängste auszudrücken und leiden
    im Stillen.

Besonders die psychischen Folgen nach FGM sind wissenschaftlich wenig untersucht. In vielen Ethnien ist es verboten Schmerz bei der rituellen Beschneidung laut zu äußern, als Sanktion droht der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Dieser Gruppendruck zwingt Mädchen aus Angst vor sozialer Isolation zum Schweigen. Eine überstarke Stressbelastung durch den Eingriff und in der Folge kann bei Betroffenen zur Dissoziation führen, d.h., dass der gesamte Erlebnisinhalt und damit verbundene Affekte aus dem bewussten Erleben abgespalten werden. Dies entspricht der psychischen Reaktion nach anderen Trauma-Erfahrungen [16].

Betreuung der Frauen

Patientinnen mit genitaler Beschneidung, insbesondere Infibulation, bedürfen der besonderen ärztlichen und psychosozialen Betreuung und Beratung hinsichtlich der

  • körperlichen Folgen (Genitalinfektion, Blaseninfektion, Fragen der Sterilität) sowie der
  • Sexualprobleme (Unmöglichkeit der Kohabitation, Dyspareunie).

Dazu liegen die folgenden Stellungnahmen vor:

  • der Arbeitsgemeinschaft „Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit“ www.fide. de
  • des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie www.dggg.de

Daraus lassen sich konkrete Empfehlungen für die Arzt/Ärztin-Patientin- Kontakte ableiten (Tab. 5, 6).

Tab. 5: Empfehlungen für die Arzt/Ärztin-Patientin-Kontakte

  • Einfühlsame Anamnese
  • eventuell mit Dolmetscherin
  • im Einzelgespräch und/oder mit Partner bzw. der Familie
  • Es sollte den Frauen gegenüber der Terminus „Beschneidung“ verwendet werden.
  • Einfühlsame Befunderhebung und Untersuchung

Tab. 6: Empfehlungen

Information zu:

  • Adäquater medizinischer Behandlung von akuten und chronischen Komplikationen
  • Hintergrundwissen zu FGM: kulturell und ethisch, auch strafrechtlich
  • Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach FGM von der Bundesärztekammer: www.bundesaerztekammer.de/30/Richtlinien/Empfidx/Genitalverstuemmelung.html
    Deutschen Bundesverband für Pflegeberufe: www.dbfk.de/download/
    fgm_DBfK-web_Broschuere_final_280108_v2.pdf
  • Frühzeitig das Gespräch suchen mit den Eltern gefährdeter Mädchen

Hinsichtlich der körperlichen Befunde sind selbstverständlich Infektionen angemessen zu behandeln. Bei Behinderungen von Urin- und Blutabfluss ist dies u.U. operativ zu beheben und je nach Beschneidungsgrad auch die Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr (Kohabitationsfähigkeit) durch Öffnung des Scheidenausganges in der Regel in Anästhesie wiederherzustellen, die Voraussetzung dafür ist der Wunsch der Patientin. Während der Schwangerschaft und Geburt sollten der Arzt, die Ärztin folgende Aspekte beachten. Bei schwangeren, beschnittenen Frauen mit engem Scheidenausgang, kann eine erweiternde Operation bereits während der Schwangerschaft medizinisch indiziert sein, insbesondere, wenn Vaginal- und Blaseninfektionen während der Schwangerschaft aufgetreten sind. Wegen der Gefahr der Retraumatisierung sollte eine geeignete Anästhesieform gewählt werden, um Erinnerungen an die Beschneidung zu vermeiden. Unter der Geburt schließlich soll durch Öffnung der Infibulation mittels kontrolliertem Dammriss oder Episiotomie eine normale Geburt ermöglicht werden.

Kenntnisse über FGM zu erwerben, die geographische Verbreitung und die gesundheitlichen Konsequenzen zu kennen, ist notwendige Voraussetzung, damit Beschwerden einer Patientin überhaupt in Zusammenhang mit einer Genitalverstümmelung gebracht werden können. Im ärztlichen Kontakt mit Frauen nach FGM sind Kompetenzen gefragt, damit Betroffene nicht durch Worte oder Taten retraumatisiert und nicht in ihrer Würde verletzt werden. Sensibilität gehört zur Untersuchungssituation. Die von FGM betroffene Frau empfindet ihren Körper als Teil ihres Ichs und damit als „normal“. Reaktionen von Befremden oder gar Ekel beim Anblick der Genitalien wird als starke Zurückweisung erlebt. Zum notwendigen Feingefühl gehört auch die Verwendung der angemessenen Terminologie. So ist es adäquat im Gespräch mit Betroffenen von „Beschneidung“ zu sprechen. „Fragst du mich, ob ich beschnitten bin, sage ich Ja. Fragst du mich, obich verstümmelt bin, antworte ich Nein“ Migrantin aus Tansania [12]

Die Integration dieser Informationen in die Praxis bedeutet zunächst, selbst kompetent zu sein und Problemlagen zu kennen, letztlich aber im Sinne der Prävention und besonders der Sekundärprävention für betroffene Frauen hilfreich zu sein. Wichtig ist es sich dabei klar zu machen, dass betroffene Frauen erst in unserem westeuropäischen Kulturkreis zu Außenseiterinnen werden. Die Wünsche der betroffenen Frauen an ihre Ärztinnen und Ärzte zeigt die folgende Auflistung (Tab. 7).

Tab. 7: Wünsche der Frauen an ihre Ärztinnen und Ärzte

  • Unwissenheit ist nicht das Schlimmste
  • Sachlich und mit Respekt nach dem kulturellen Hintergrund fragen
  • Keine Scham und Schuldgefühle provozieren
  • Keine verletzende Neugierde
  • Nicht zur Schau gestellt werden
  • Nicht in eine Opferrolle gedrängt werden
  • Klischees vermeiden

Hilfreiche Adressen und Informationen

Beispielhaft werden Aktivitäten von UNICEF www.unicef.org aufgeführt, neben anderen zahlreichen Organisationen, die sich einsetzen für politische Lobbyarbeit. Dazu gehört das Training von Multplikatorinnen und Aufklärungskampagnen, insbesondere die Unterstützung einheimischer Partnerorganisationen. So gibt es von UNICEF Projekte in

  • Äthiopien Beratung ehemaliger Beschneiderinnen bei der Suche nach alternativen Einkommensmöglichkeiten
  • Somalia Durchführung von Workshops für Gesundheitspersonal, Lehrer, religiöse Führer
  • Ägypten Organisation einer Umfrage zusammen mit dem Sozialministerium zum Thema Beschneidung in 26 Dörfern
  • Eritrea werden Aufklärungsprogramme in Schulen unterstützt „Bildung ist der beste Schutz“
  • Niger beteiligt an der Erarbeitung eines neuen Gesetzes zum Verbot der Beschneidung

Weitere Informationen und Hilfen finden Sie unter den folgenden Adressen:

  • www.frauenrechte.de,
  • Infoflyer des Landes NRW, www.mgepa. nrw.de/ministerium/service,
  • Vorträge der Fachtagung 2006 www.aekno.de/Dokumentation/AekNo,
  • Beratungsstellen, Stop Mutilation e.V., www.stop-mutilation.org
  • Kutairi, AktionWeißes Friedensband e.V. www.kutairi.de,
  • Integra, Deutsches Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung, www.netzwerk-integra.de

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Mechthild Neises
Psychotherapeutische Privatpraxis
Lemierser Berg 119
52074 Aachen
www.ploeger-neises.com

Slide Gyne 01/2017 Weibliche Genitalverstümmelung - gesundheitliche Folgen

Literaturverzeichnis

  1. UNICEF 2007 www.unicef.de
  2. WHO 2008 www.who.de
  3. Pechmann C, Petermann F, Schmidt S, Nitkowski D, Köbach A, Ruf M, Elbert T. Belastungsbewältigung bei Frauen mit FGM aus Äthiopien – zur Rolle der Einstellung. Psychother PsychMed 2016; 66: 421–428
  4. Brenn J.Weibliche Beschneidung kommt aus der Tabu-Zone. Rheinisches Ärzteblatt 2013; 8: 16–17
  5. http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/overview/en/letzter Zugriff 14.11.16, Abdulcadir et al. 2016
  6. Bundesärztekammer Stellungnahme 2005 und 2013. Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung (female genital mutilation) Mitglieder des Arbeitskreises:
  7. Deutsches Komitee für UNICEF e. V. (Hrsg.) Schnitte in Körper und Seele. Eine Umfrage zur Situation beschnittener Mädchen und Frauen in Deutschland.2005
  8. Statistisches Bundesamt 2003www.statis.de
  9. Hänselmann K, Börsch C, Ikenberg H, Strehlau J, Klug SJ. Weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland. Ergebnisse einer Befragung
    niedergelassener Gynäkologen. Geburtsh Frauenheilk 2011; 71: 205–208
  10. Bartzke G. Weibliche Beschneidung. Frauenarzt 2015; 56: 857
  11. Ärztekammer Nordrhein. Genitalbeschneidung. Trauma für Betroffene – Herausforderung für ärztliches Handeln. Vorträge von J. Cumar und Dan mon O´Dey, Aachen 31.08.2016

Alle Literaturstellen finden Sie unter:
www.gyne.de

DMP Brustkrebs NEU

Psychosomatische und psychosoziale Aspekte sollen in der Nachsorge stärker berücksichtigt werden

“Das DMP Brustkrebs wurde vollständig überarbeitet und in die DMP-Anforderungen-Richtlinie überführt. Ein neuer Schwerpunkt des DMP liegt auf der Nachsorge, bei der stärker als zuvor Neben- und Folgewirkungen der Therapie berücksichtigt werden.
Unser Ziel ist es, Patientinnen wirksam dabei zu unterstützen, empfohlene, oft über Jahre weiterlaufende Therapien einzuhalten und mit Neben- und Folgewirkungen besser umgehen zu können. Hier haben wir zum Beispiel die länger andauernden Therapien mit Antiöstrogenen, die adjuvanten Therapien, im Blick. Sie werden nach Operation, Strahlentherapie und/oder Chemotherapie oft über Jahre fortgesetzt, was für Patientinnen belastend ist und Folgeerkrankungen wie Osteoporose nach sich ziehen können. Das neue DMP sieht gezielte Maßnahmen zur Vermeidung von Folgeerkrankungen sowie eine stärkere Berücksichtigung psychosomatischer, psychischer und psychosozialer Aspekte im Rahmen der Langzeittherapie vor“, so Dr. Regina Klakow-Franck, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzende des Unterausschusses DMP.”

(zitiert aus der PM des G-BA / April 2017)

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Artikel des Monats Juli 2017

Artikel des Monats Juli 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Lutz W, Wucherpfennig F

Was bedeutet Personalized Medicine und Personalized Mental Health für die Psychotherapie und Psychotherapieforschung? Oder warum die Psychotherapieforschung in Deutschland ausgebaut werden sollte/könnte/müsste?

(Teil 3) PPmP 2017; 67: 227-230

Forschungsaktivitäten in der Psychsomatik und Psychotherapie werden immer wieder angemahnt. Auch wenn die entsprechenden Studiendesigns schwierig und oftmals ethische Hürden zu überwinden sind, gibt es international durchaus Publikationen dazu. In Deutschland sind solche Untersuchungen dagegen eher selten. Deshalb ist der hier vorgestellte Artikel mit Überlegungen zur Psychotherapieforschung im Kontext der sog. personalisierten Medizin besonders erwähnenswert.

Die beiden Autoren schreiben, dass eine Verbesserung der Evidenzbasierung von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung der Psychotherapie als wissenschaftlich fundiertes und gesellschaftlich anerkanntes Verfahren zur Behandlung psychischer Störungen ist. Sie merken an, dass viele neuere Behandlungsverfahren z.B. der kognitiven Verhaltenstherapie oder mentalisierungsbasierte Verfahren in der psychodynamischen Tradition spezifische Behandlungsempfehlungen für spezifische Diagnosegruppen hervorbringen und ihren Anspruch auf Originalität durch eigenständige Zertifikate und Weiterbildungsmodule Ausdruck verleihen. Hier stehe einer Vielzahl von zum Teil originellen und beliebten Neuentwicklungen eine geringe Evidenz im Vergleich zu bereits etablierten Verfahren gegenüber.

Wenn man die Effektstärken gut untersuchter, evidenzbasierter Verfahren betrachtet, sind diese für viele Patienten wirksam, für einige sogar hochwirksam, während andere Patienten keinen Nutzen aus der Behandlung ziehen können: Psychotherapie erzielt bei ca. einem Drittel aller Patienten keinen signifikanten Effekt. Die gleiche Behandlung kann also eine sehr unterschiedliche Wirksamkeit für unterschiedliche Patienten haben.

Die Autoren postulieren daher als vorrangiges Ziel der Psychotherapieforschung für jene Patienten bzw. Patientengruppen eine Therapieverbesserung zu erreichen, die (bisher) vorn dieser keinen Nutzen haben oder bei denen sogar ungünstige Effekte (sudden loss) auftreten. Sie fordern daher einen Paradigmenwechsel in der Psychotherapieforschung mit einer Abkehr von der Methodenorientierung (Behandlungsverfahren A vs. B) hin zu einer Patienten- und Erfolgsorientierung und bezeichnen zwei Fragen als wichtig und wegweisend: Welche Therapie ist für welchen Patienten am erfolgreichsten? Wie können therapeutische Strategien optimal im Laufe der Behandlung an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden?

In diesem Sinne könnte auch die DGPFG in der Zukunft psychosomatische Forschungsaktivitäten lenken und unterstützen.

Matthias David, Juli 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

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