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Gyne 07/2016 – Mammographie-Screening zwischen Sicherheitsbedürfnis und nachhaltiger Verunsicherung

Gyne 07/2016
Mammographie-Screening zwischen Sicherheitsbedürfnis und nachhaltiger Verunsicherung

Autorin: Doris Tormann

 

Die bisher stets fröhliche und unbeschwerte Frau R.  kommt nach zwei Jahren erstmals bedrückt zur Krebsfrüherkennungsuntersuchung in meine Praxis: sie sei nun 50 Jahre alt geworden und da habe es sie erwischt. Sie hatte ihre erste Einladung zum Mammographie-Screening (MS) bekommen: „Da muss ich ja wohl hin, der Termin ist in zwei Wochen, ich bin schon ganz nervös und aufgeregt, habe seit drei Nächten nicht geschlafen….“.

So wie Frau R. erlebte ich in meiner gynäkologischen Praxis viele verunsicherte Frauen in der für das MS vorgesehenen Altersgruppe. Über das MS wurde in den Jahren viel diskutiert, die Informationen darüber nur jedoch nur spärlich verbessert.  Die veröffentlichten Evaluationsberichte zum MS  berichten über Ergebnis- und Prozessqualität, jedoch nicht über psychische Belastungen, die mit dem Verfahren einhergehen [1].].  Auch mehr als zehn Jahre nach Einführung des MS in Deutschland gibt es über die psychischen Belastungen der Frauen, die im Rahmen der Untersuchung auftreten können, nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen und Veröffentlichungen.

Im Folgenden werde ich die mit dem MS verbundenen psychischen Belastungen und die Bewältigungsstrategien der Frauen darstellen. Grundlagen dazu sind meine langjährigen Erfahrungen aus einer gynäkologischen Praxis in einer Großstadt, die Aussagen kleinerer Studien aus Deutschland und die Ergebnisse aus angloamerikanischen Veröffentlichungen zum Thema.

Information und Verwirrung

Die Europäische Leitlinien [2] zum MS fordern neben einer informierten Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am MS eine minimale Teilnehmerrate von 70% der Frauen zwischen dem 50 bis 69. Lebensjahr. In dem Bemühen diese Teilnahmeraten zu erreichen – sie liegen derzeit bei maximal 56 % [1] – und auch mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen der Industrie und Diagnostikzentren [3] waren die anfänglich von den Zentren selbst erstellten Information von unausgewogener tendenziöser Qualität [4]. Sie stifteten eher Verwirrung und betonten die Vorteile, als dass sie Grundlage für eine informierte Entscheidung für die Frauen sein konnten [5].

Erst im Jahr 2014 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss  nach kritischen Veröffentlichungen in deutschen [3] [6] und internationalen Fachzeitschriften [7] [8] [9] das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG)  mit der  Erstellung eines Einladungsschreibens und einer wissenschaftlich fundierten Information (Merkblatt) zum MS beauftragt. Ein Rapid Report wurde Anfang 2015 vom IQWIG fertig gestellt und soll jeder Einladung zum MS beigefügt werden[10]. Die Fertigstellung der Endfassung ist im 3. Quartal 2016 geplant. Erst dann  erhält jede Frau mit dem Einladungsschreiben die für eine informierte Entscheidung notwendigen umfassenden Informationen.

Auch in den Medien lag besonders in den ersten Jahren der Tenor der Berichterstattung darauf, den Nutzen des MS zu  betonen, mögliche Nachteile wurden eher verharmlost. Das MS wurde in der Presse beworben mit Aussagen wie: „jede 9. Frau erkrankt an Brustkrebs“  oder  „die Sterblichkeit an Brustkrebs wird durch das Screening um 25% gesenkt“. Auch wenn diese Informationen nicht falsch sind, so schüren sie Ängste und zeichnen ein überzogen optimistisches Bild. Diese Zahlen allein ermöglichen  weder den eingeladenen Frauen noch  uns beratenden Frauenärzte/Innen, eine angemessene Risikobeurteilung [11].

Wissenswertes zum Mammographie-Screening

  • von 1000 Frauen zwischen 50 und 69 Jahren erkranken jährlich 3 bis 4 an Brustkrebs
  • von 1000 Frauen, die am Screening teilnehmen haben 970 ein unauffälliges Ergebnis, 30 erhalten eine Wiedereinladung zu Folgeuntersuchungen
    dabei wird bei

    • 24 Frauen kein Krebs gefunden, bei
    • 6 Frauen bestätigt sich der Karzinom-Verdacht
    • 2 Mammakarzinome treten im Intervall bis zur nächsten Screening-Untersuchung auf.

Wenn 1000 Frauen über 10 Jahre am MS teilnehmen, sterben 1 bis 3 Frauen weniger an Krebs, bei 4 bis 7 Frauen führt die Untersuchung zu einer Überdiagnose!

Und dennoch:

Eine adäquate Risikoeinschätzung ist und bleibt auch zehn Jahre nach Einführung des MS in Deutschland offenbar schwierig zu vermitteln [5], [12]. Eine Befragung [13] von Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren zeigt, dass jede zweite Frau das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um das 10fache überschätzt. Die Angst an Brustkrebs zu erkranken führt bei nicht wenigen Frauen dazu, dass sie aus Furcht einen Knoten zu tasten sogar ihre Brüste nicht anfassen können.

Die Mehrheit der Frauen aber schafft es im täglichen Leben, die Angst vor Krankheit und Krebs zu bewältigen. Meistens werden die beängstigenden Gefühle der Verletzbarkeit des eigenen Körpers und die potenzielle Krankheitsgefahr verdrängt,  auch Bagatellisierungen und Verleugnungen sind anzutreffen. Diese psychische  Kompensation bricht meist abrupt zusammen, wenn eine Freundin oder ein Familienmitglied die Diagnose Brustkrebs erhält.

Seit Einführung des MS wird nun jede Frau mit Eintreffen des Einladungsschreibens mit der verdrängten Gefährdung unfreiwillig konfrontiert.

Akt: Die Einladung

Schon der Erhalt  des Einladungsschreiben zum MS bedeutet für viele Frauen eine emotionale Belastung: die latente Angst vor Krebs wird getriggert. Dies bestätigt die Untersuchung von der Bertelsmann-Stiftung und der Barmer-GEK [14]. Auch wenn der angebotene Untersuchungstermin von 83 % der Frauen in der o.g. Studie begrüßt wird, so reagieren manche Frauen (14 %) darauf regressiv: sie erleben die einladende Institution paternalistisch und den Termin  als  verpflichtende Aufforderung („Da muss ich hingehen“). Begleitet ist dies von der Angst vor Schuldgefühlen („ …ich würde es mir nicht verzeihen, wenn bei mir später dann doch ein Krebs auftritt und es dann heißt: wären Sie mal zum MS gekommen…“)  Gelegentlich befürchten Frauen auch andere negative Auswirkungen bei Nichtteilnahme: z. B.  dass die Krankenkasse bei späterer Erkrankung die Behandlung nicht mehr zahlt.

Akt : Die Entscheidung

Die Entscheidung zur Teilnahme am MS wird von den meisten Frauen nicht aufgrund sachlicher Information getroffen, sondern von Bedeutung sind dabei viele Aspekte irrationaler Risikobewertung und emotionaler Bedürfnisse [4].
Das Bedürfnis nach der Sicherheit keinen Brustkrebs zu haben, ist für die meisten Frauen ein wichtiger Grund, an der  Früherkennnungsuntersuchung teilzunehmen.  84 % der Frauen fühlen sich beruhigt, wenn sie nach der Untersuchung wissen, dass alles in Ordnung ist [14] und 64 % stimmen der Aussage zu: „ich habe das Gefühl, etwas Gutes für mich zu tun“.

Viele Frauen der Zielgruppe haben auch irrationale Vorstellungen vom Nutzen des  MS. So  glauben 30 % der Frauen, dass schon die Teilnahme am MS verhindere, dass sie ein Mammakarzinom entwickeln [14].
In einer kleinen eigenen Studie stimmten 53 % der Frauen der Aussage zu, dass das MS das Risiko an Brustkrebs zu erkranken reduziert, bzw. die Erkrankung verhindern können [13].

Die Nichtteilnahme am Screening begründete ein Teil der Frauen mit den Bedenken bezüglich der Strahlenbelastung, sowie der Angst vor möglichen Schmerzen bei der Untersuchung [13].

Akt: Der Termin

In den Tagen vor dem Termin zur Mammographie berichten Frauen von innerer Anspannung und Schlafstörungen bis hin zu Albträumen, die oft die Auseinandersetzung mit dem Thema Brustkrebs beinhalten. Es wird auch die Sorge geäußert, dass die Untersuchung schmerzhaft sein könnte.

Akt: Das Ergebnis

Zurück zu Frau R.:  drei Wochen nach dem MS berichtet Frau R., dass sie die Woche nach der Untersuchung in der  sie auf den Brief mit dem Untersuchungsergebnisgewartet habe,  sehr mitgenommen habe. Sie konnte sich nur noch schwer auf ihre Arbeit konzentrieren und fühlte sich reizbarer, irgendwie dünnhäutiger. Als dann endlich die Nachricht vom Mammographie-Zentrum eintraf, dass bei ihr keine Auffälligkeiten zu sehen seien, sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen.  Dennoch ist Frau R. selbst verwundert, wie stark sie die Wochen von der Einladung zum MS bis zu dem Ergebnis doch belastet haben, obwohl sie doch sonst eine rationale Frau sei.

Diese persönliche Aussage stimmt mit der Bertelsmann-Studie überein:  Nach der Früherkennungs-Mammografie sind 38 % der Frauen sehr beunruhigt, bis sie über das endgültige Ergebnis informiert werden [14].

Auch internationale Studien untermauern diesen Aspekt: Der Brief mit dem Untersuchungsergebnis wird von vielen Frauen ängstlich erwartet. Die Wartezeit wird als sehr belastend erlebt [15].

Akt: weitere Abklärungsuntersuchungen

Eine neue Patientin, Frau S., 56 Jahre, bejaht bei der Erstanamnese meine Frage nach der bisherigen Teilnahme am Mammographie Screening.  Aber sie fügt dann hinzu: “ … da gehe ich nicht noch mal hin. Die haben da erst was gefunden und ich musste noch mal zu weiteren Untersuchungen. Das hat mir fast den Boden unter den Füßen weggerissen. Meine Gedanken kreisten nur noch darum, auf nichts anderes konnte ich mich mehr konzentrieren, nachts habe ich nicht mehr geschlafen aus Angst vor dem, was auf mich zukommt. Aber dann haben sie doch nichts gefunden, alle Aufregung umsonst… Dennoch hat mir die Entwarnung meine innere Ruhe nicht wiedergegeben.“

Die weitere Exploration zeigte, dass Frau S. in mehrfacher Weise durch einen frühen Tod ihres Vaters in der Kindheit und den plötzlichen Herztod  ihres Ehemanns drei Jahre zuvor psychisch vorbelastet war.  Die Konfrontation mit Ungewissheit und Abhängigkeit reaktualisieren in dieser Situation Erfahrungen von Ohnmacht und Hilflosigkeit.

Es ist davon auszugehen, dass traumatisierte und anderweitig psychisch vorbelastete Menschen intensiver von den psychischen Begleitwirkungen im Kontext des MS betroffen sind  [8]. Das kann wie bei Frau S. die Lebensqualität, die Arbeitsfähigkeit und auch die Compliance bezüglich der geplanten 20 Untersuchungsjahre gefährden.

Die Häufigkeit auffälliger Befunde beim MS wird mit ca. 30 bei 1000 durchgeführten Untersuchungen angegeben. Die Notwendigkeit weiterer Abklärungsuntersuchungen schätzt nur jede vierte Frau bei Befragung vor dem MS richtig ein [13]. Die Mehrheit der Frauen unterschätzt die Wahrscheinlichkeit einer Wiedereinladung zur Klärung von Auffälligkeiten dagegen deutlich. 36 % der befragten Frauen (n=1780) meinen, dass es nach einer Früherkennungs-Mammografien nur selten es zu einem falschen Verdacht auf Brustkrebs kommt [16]. Diese Fehleinschätzung führt dazu, dass es viele Frauen vorher gar nicht in Betracht ziehen, zu weiteren Untersuchungen aufgefordert zu werden. Daher trifft sie dieses Wiedereinladungsschreiben emotional unvorbereitet und für viele Frauen ist die Nachricht unmittelbar mit der Gewissheit verbunden: „nun hat man Krebs bei mir gefunden“. Der Hinweis im Anschreiben zur Nachuntersuchung, dass Zusatzuntersuchungen auch bei gutartigen Veränderungen gelegentlich erforderlich sind, beruhigt sie wenig bzw. wird oft gar nicht mehr wahrgenommen.

Frau S., die unglücklicherweise ihre Ergebnismitteilung auch noch an einem Freitagnachmittag aus dem Postkasten zog, war aufgebracht:

Was denken sich die Briefschreiber dabei? Soll dies eine Beruhigung sein? Bei mir kamen gerade durch die Formulierungen alle Ängste hoch. Ich habe sofort versucht die Ärztin des Screening Zentrums zu erreichen, aber das war erst in drei Tagen möglich. Die Helferin konnte gar keine Beruhigung geben.  So geht das doch nicht! Man kann nicht an einem Freitag eine solche Information bekommen und niemand ist mehr ansprechbar!“

Nachhaltige Verunsicherung

Die beschriebenen Verunsicherungen beeinflussen nachhaltig und gelegentlich tiefgreifend das Leben und Empfinden vieler Frauen, die eine Einladung zur weiteren Abklärungsdiagnosik bekommen haben. So beschreiben Brodersen et.al [15] dass Frauen u.a.  an  Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit und verstärkten Ängsten leiden. Ebenso kann das Schreiben zu einem verminderten Selbstwertgefühl führen und hat negative Auswirkungen auf den Schlaf, die innere Ruhe, die Sexualität und auch auf die sozialen Beziehungen der Frauen.  Diese Veränderungen wurden in gleich hohen Ausmaßen bei Frauen gefunden, bei denen sich der Karzinomverdacht bestätigte, aber auch bei denen, wo er sich nicht bestätigt; war also unabhängig von dem Ausgang der weiteren Abklärungsdiagnostik.
Besonders auffallend  und beachtenswert ist, dass die psychosozialen Veränderungen auch noch sechs Monate nach Abschluss der Abklärungsdiagnostik bei den Frauen mit einem „falsch positiv“ Ergebnis  – d. h. die ohne Brustkrebsnachweis blieben – anhielten. Sie gaben damit ein ähnlich hohes Belastungsniveau an, wie die Frauen, bei denen Brustkrebs entdeckt wurde [15].

Noch 36 Monate nach dem MS wurden bei den Frauen mit „falsch auffälligem“ Befund ungünstige Veränderungen im psychosozialen Erleben festgestellt. Diese schwächten sich zwar ab, doch die Belastungswerte lagen im Mittel immer noch zwischen denen von Frauen, die primär ein unauffälliges  Mammographie Ergebnis erhalten hatten und denen mit  Brustkrebs-Diagnose.

Die Ergebnisse zeigen, dass nur ca. die Hälfte der betroffenen Frauen über eine gute Stress- bzw. Krisenbewältigung verfügt.  Einem Großteil der Frauen mit „ falsch auffälligem Erstbefund“ gelingt die Bewältigung weniger gut und sie leiden daher an lang anhaltende negative psychosoziale Folgen. Dies kann vielfältige Gründe haben, so z.B. die oben schon genannten belastenden Erlebnisse in der Biografie. Wenn man bedenkt, dass von 5 Frauen, die zu weiteren Abklärungsuntersuchungen eingeladen werden, sich nur bei 1 Frau der Krebsverdacht bestätigt und bei 4 Frauen nicht, so ist die Zahl der psychosozial belasteten Frauen durch „falsch auffällige Befunde“ erheblich.

Intervallkarzinome

Ein weiteres Problem ist die falsche Sicherheit, in der Frauen mit unauffälligem Mammographie- Befund leben. Wie hoch der Anteil an Intervallkarzinomen in Deutschland ist, ist aufgrund von fehlenden Krebsregistern nur in Niedersachsen und NRW errechenbar. In NRW treten 22 % der Mammakarzinome zwischen den zweijährlichen Untersuchungsintervallen auf [17].

Die Wahrnehmung der Veränderungen und ein zeitiger Arztkontakt verzögern sich oft bei diesen Frauen, da sie sich auf das unauffällige Ergebnis des MS verlassen. Frau Dr. Hiller vom Krebsinformationsdienst beschreibt: wir hören  immer wieder den Satz: ‚Da bin ich immer zur Vorsorge gegangen und bekomme trotzdem Krebs‘ [18]. 33 % der Frauen im teilnahmeberechtigten Alter glauben sogar, dass das MS verhindere an Brustkrebs zu erkranken (14), schließen also nach Teilnahme am Screening aus, noch an Brustkrebs zu erkranken zu können.

Überdiagnosen

In der der S3 – Leitlinie heißt es in der Einleitung zum Kapitel über Präinvasive Neopalien: „Durch die verbesserte Diagnostik und die Einführung des Mammographie Screening Programms in Deutschland werden zunehmend auch benigne und präinvasive Läsionen der Mamma entdeckt, die zumeist mit Mikroverkalkungen oder Architekturstörungen einhergehen. Die Datenlage zum Malignitätspotenzial oder Progressionsrisiko dieser

Veränderungen sind sehr heterogen, sodass die Basis für Therapieentscheidungen oder die Weiterbetreuung nicht immer durch einen hohen Grad an wissenschaftlicher Evidenz abgedeckt ist [19].

Durch eine hohe Entdeckungsrate von präinvasiven Läsionen (1 auf 6 Karzinomdiagnosen) [20], davon auszugehen, dass sich ein beträchtlicher Teil der Frauen unnötigerweise mit der Diagnose Brustkrebs und der dann folgenden Therapie sowie den körperlichen wie auch psychischen Beeinträchtigungen dieser Diagnose auseinandersetzten muss. Ohne Screening wären sie zu Lebzeiten nicht mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert worden.  Das heißt, dass diese Frauen –aber auch ihr soziales Umfeld – mit  dem Schock Krebs zu haben, unnötig konfrontiert werden. Neben den psychischen Belastungen und den damit oft verbundenen erheblichen Belastungssymptomen, müssen die Frauen Operationen und evtl. Bestrahlungen ertragen und die damit einhergehenden Veränderung an dem sensiblen Organ Brust verarbeiten.

Fast jede 5. Frau denkt, dass es nicht möglich ist, dass durch die Früherkennung eine Brustveränderung entdeckt wird, jedoch die Krankheit Brustkrebs niemals ausbrechen würde [14].

Verunsicherung im Alter 69 +

Verunsichernd ist es auch für die Frau, die aus Altersgründen nach 20 Jahren nicht mehr zu den Früherkennungsuntersuchungen eingeladen wird.  So sagte eine Patientin: „ Jetzt bin ich wohl zu alt, es lohnt sich nicht mehr für mich Geld auszugeben“. Entlastend für die Patientin waren meine erklärenden Informationen, dass in ihrem Alter eher ein langsam wachsender Krebs auftritt, der nicht schnell streut. Eine gute Behandlung ist noch ausreichend früh, wenn der Knoten zu tasten sei.

Fazit für die frauenärztliche Praxis

Krebs löst Angst aus und ist in unserer Phantasie oft mit großem Leid und Sterben verbunden. Die medizinischen Fortschritte mit verbesserter Überlebensrate durch die Therapie werden dabei nicht als Beruhigung erfahren.

Im Umgang mit der Angst helfen Informationen und eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Fachfrau/Fachmann. In Deutschland erhalten die Frauen mit dem offiziellen Einladungsschreiben aber einen direkten Zugang zur Mammographie, ohne dass zuvor ein Aufklärungsgespräch mit einem Arzt erfolgt.

Diese Lücke sollten wir Frauenärzte/Innen durch aktives Ansprechen der Frauen auf das Mammographie-Screening in der frauenärztlichen Sprechstunde nutzen. Durch Beratung über Vor- und möglichen Nachteilen des MS – so auch der Möglichkeit der Wiedereinladung zu weiteren Abklärungen – können die Frauen besser vorbereitet werden.

Hilfreich sind vertraute, erreichbare Ansprechpartner bei auftretenden Fragen. Besonders bei Frauen bei denen weitere Abklärungsuntersuchungen durchgeführt wurden, sind wir Gynäkologen/Innen gefordert, sensibel auf mögliche psychische Veränderungen zu achten.

In meiner Praxis hat sich das folgende Vorgehen bewährt: Alle Frauen im 50. Lebensjahr werden darauf angesprochen, dass sie nach ihrem 50. Geburtstag alle zwei Jahre eine Einladung zum MS bekommen werden, das eine anerkannte Methode zur Früherkennung von Brustkrebs ist. Ich erläutere, dass  in dem Einladungsschreiben ein Terminvorschlag gemacht wird, die Teilnahme jedoch jedes Mal freiwillig ist bzw. der Termin auch verlegbar ist. Ich erkläre kurz den Untersuchungshergang. Ebenfalls erwähne ich, dass bei Teilnahme durch die genaue und gründliche Begutachtung der Radiologen es möglich ist eine Einladung zu weiteren Untersuchungen zu bekommen. Dabei wird dann aber in 4 von 5 Fällen kein Krebs diagnostiziert.

Außerdem nutze ich das Informationsmaterial von Knotenpunkt e.V., den Flyer: „Was kann das Mammografie-Screening leisten?“

Ist eine Patientin zur weiteren Abklärung von der Mammographie Einheit erneut eingeladen worden, erkundige ich mich danach bei unserem nächsten Treffen und achte besonders auf evtl. noch bestehende psych. Belastungen.

Mit diesem Vorgehen in der Praxis konnte ich in den letzten Jahren feststellen, dass die so informierten Frauen sich deutlich selbstbewusster und entscheidungssicherer gegenüber dem MS verhalten und aktiver die damit verbundenen psychischen Belastungen bewältigten.

Checkliste Vorbereitung zum Mammografie-Screening

Allgemein verständliche  Informationen die für eine informierte Entscheidung für Screening Untersuchungen gefordert werden, sind bisher nur ansatzweise für das MS verfügbar. Das führt zu einer deutlichen Überschätzung des Nutzens bei gleichzeitiger Unterschätzung der Nachteile von der Untersuchung. Psychische Folgen die mit dem MS ausgelöst werden, werden bisher unzureichend beachtet.

Interessenskonflikte bestehen keine.

Seit 2003 engagiert sich die Autorin  im Knotenpunkt e.V.. Neben der Organisation von Informationsveranstaltungen erstellt der Verein mehrsprachiges Informationsmaterial zu Themen der Brustgesundheit und Brusterkrankung. Zum Thema Mammographie Screening hat Knotenpunkt e.V. ein Plakat zum Aushang in Praxisräumen erstellt, sowie einen Informationsflyer, der z.Zt. in deutscher und türkischer Sprache verfügbar ist. Geplant sind noch englische, spanische und arabische Übersetzungen. Die Informationen stehen auf Internetseite www.knotenpunkt-bielefeld.de als Download zur Verfügung oder können als Druckversion bezogen werden (Bezugsadresse: Knotenpunkt e.V., Postfach 101708, 33517 Bielefeld).

Korrespondenzadresse

Dr. med. Doris Tormann
Siechenmarschstraße 32
33615 Bielefeld
T + 49 521 137979
E tormann@gyn-bielefeld.de
www.gyn-bielefeld.de

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