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Artikel des Monats September 2017

Artikel des Monats September 2017

vorgestellt von PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Harris V, Fischer G, Bradford JA.

The aetiology of chronic vulval pain and entry dyspareunia: a retrospective review of 525 cases.

Aust N Z J Obstet Gynaecol. 2017 Aug;57(4):446-451. doi: 10.1111/ajo.12613. Epub 2017 Mar 13.

 

Hintergrund:
Es gibt wenig verfügbare Daten zu den zugrundeliegenden Diagnosen und durchgeführten Therapieansätzen bei chronischem Vulvaschmerz.

Material und Methode:
Mit ihrer retrospektiven Studie an 525 Frauen wollen die Autoren diese Lücke schließen. Dazu wurden die Fallberichte einer Spezialsprechstunde für Vulvaschmerz an einem privaten Krankenhaus in Australien ausgewertet. Die Auswertung erfolgte von Januar 2011 bis März 2015.

Ergebnisse:
Das Durchschnittsalter der betroffenen Frauen betrug 47,1 Jahre (range 17-86). Die durchschnittliche Dauer der Symptome betrug 60 Monate (range 3-432). Bei 277/525 (52.7%) Patientinnen wurde die durchgeführte Therapie zu einer befriedigenden Besserung der Symptome, bei 90 Frauen (17%) kam es zu einer partiellen Verbesserung. Bei 322/525 (61.3%) Patientinnen wurde eine dermatologische Ursache identifiziert und diese zeigten in 65.5% eine befriedigenden Therapieerfolg. Bei den verbleibenden 38.7% war die Haut unverändert. In dieser Patientinnengruppe wurde nach einer neuromuskulären Ursache für die Schmerzen geforscht wie z.B. Voroperationen, traumatische Ereignisse oder andere Dysfunktionen. Bei 181 der 203 (89%) betroffenen Patientinnen wurde eine neuromuskuläre Ursache angenommen und den Patientinnen Physiotherapie und/oder neuromodulierende Medikamente empfohlen. Davon profitierten nur 63/182 (34.6%) der Frauen. 136 der 525 (31.6%) klagten nur über Vulvaschmerzen beim Geschlechtsverkehr. Dyspareunie war aber nicht mit einem schlechteren Therapieergebnis assoziiert.

Schlussfolgerungen der Autoren:
Bei den meisten der Patientinnen in dieser Studie wurde als Ursache ihrer chronischen Vulvaschmerzen eine dermatologische Ursache identifiziert und anschließend behandelt. Die zweithäufigste Ursache war neuromuskulärer Natur, auch hier war eine Behandlung möglich, aber mit geringerem Erfolg verbunden als bei den dermatologischen Ursachen. Erst bei Unwirksamkeit der Behandlung wurde die Diagnose einer Vulvodynie in Erwägung gezogen, hier dann definiert als Vulvaschmerzen ohne identifizierbare Ursache.

Anmerkung Siedentopf:
Der Artikel betrachtet das Problem des vulvären Schmerzes ausschließlich aus somatischer und hier vorrangig aus dermatologischer Sicht. Eine psychosomatische Betrachtungsweise oder überhaupt das Inbetrachtziehen psychosomatischer Faktoren entfällt. Das Konstrukt einer somatoformen Schmerzstörung ist in diesem Artikel nicht in Erwägung gezogen und fehlt deshalb. Aus meiner Sicht ist dies bei einer chronischen Schmerzsymptomatik fatal und wird der komplexen Situation der betroffenen Frauen nicht gerecht.

Friederike Siedentopf, September 2017

PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Artikel des Monats August 2017

Artikel des Monats August 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Maeve A. O’Connell et al.

Worldwide prevalence of tocophobia in pregnant women: systematic review and meta-analysis.

Acta Obstet Gynecol Scand 2017; Volume 96, Issue 8; Pages 907–920

 

Als Schwangerschafts- oder Tokophobie wird eine „starke, pathologische, unbegründete Furcht oder Angst vor einer Schwangerschaft oder Geburt“ bezeichnet. Es wird zwischen einer primären (die Nullipara betrifft) und der sekundären (bei Mehrgebärende nach einer Geburtserfahrung) Tokophobie unterschieden. Bei der primären Tokophobie spielt die Angst vor den Schmerzen bei einer Geburt nur vordergründig eine Rolle. Der Grad bzw. die Ausprägung einer Tokophobie ist schwer zu quantifizieren. Faktoren wie allgemeine Ängstlichkeit, vorausgegangener sexueller Missbrauch,, eine vorausgegangene traumatische Geburtserfahrung oder eine andere traumatische Erfahrung in medizinischen Einrichtungen, vorausgegangene Fehlgeburten, eine langdauernde Infertilität, Rauchen, geringe soziale Unterstützung und eine ungünstige Partnerschaftssituation scheinen mit der primären und der sekundären „Schwangerschaftsangst“ assoziiert zu sein.

Das wissenschaftliche Interesse daran bzw. die Beschäftigung damit hat in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen. Neuere Studien zeigen, dass die Tokophobie kurz und langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind haben kann.

Die Autoren um O´Connell führten eine Literaturrecherche mit nachfolgender Metanalyse in sechs großen Datenbanken für den Zeitraum 1946 bis April 2016 durch, um die weltweite Prävalenz dieser besonderen Angststörungen aufgrund vorliegender Veröffentlichungen bestimmten zu können. Die Literatursuche war hinsichtlich der Publikationssprache nicht eingegrenzt.

33 Studien aus 18 Ländern wurden gefunden, 29 davon konnten in die Metaanalyse einbezogen werden, die sich somit auf ein Gesamtkollektiv von fast 854.000 Frauen bezog. Die Autorengruppe stellt fest, dass die jeweils verwendete Definition für eine Tokophobie sehr unterschiedlich war und die Prävalenz zwischen 3,7 und 43% variierte. So betrug die Prävalenz in Skandinavien beispielsweise 12% im Vergleich zu 8% im Rest Europas und 23% in Australien. Die Daten zeigen auch, dass die Tokophobie häufiger bei Nullipara als bei Frauen, die schon ein Kind geboren haben, vorkommt. Unter Beachtung verschiedener statistischer Kriterien und auf der Basis von Subgruppenanalysen zur Studienqualität gehen O´Connell et al. von einer „gepoolten“ weltweiten Prävalenz von etwa 14% für die „Schwangerschafts- und Geburtsangst“ aus. Sie stellten außerdem fest, dass ca. seit dem Jahr 2.000 eine Zunahme der Tokophobie (oder der Berichte darüber?) zu registrieren ist.

Aus den Review-Ergebnissen ergeben sich zwei auch klinisch relevante Aspekte: (1) Es fehlt eine klare und eindeutige Definition der Tokophobie, was sowohl für die Praxis als auch für die Durchführung zukünftiger Studien wichtig wäre. Die Autoren betonen, dass ein gewisses Maß an Sorgen bei einer schwangeren Frau normal sei, denn eine Geburt ist ein weitgehend unberechenbares Ereignis. (2) Die festgestellte Prävalenz unterstreicht die Bedeutung der Tokophobie für das Gesundheitssystem. Ärztinnen, Ärzte und Hebammen sollten hier achtsam(er) sein und diese besondere Angststörung bereits in der Frühschwangerschaft erkennen.

Aufgrund der Heterogenität der ausgewerteten Studien und der fehlenden einheitlichen Definition der Tokophobie sollten die Ergebnisse dieses ersten großen Reviews mit Vorsicht interpretiert bzw. verallgemeinert werden, so die Autoren.

Matthias David, August 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats Juli 2017

Artikel des Monats Juli 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Lutz W, Wucherpfennig F

Was bedeutet Personalized Medicine und Personalized Mental Health für die Psychotherapie und Psychotherapieforschung? Oder warum die Psychotherapieforschung in Deutschland ausgebaut werden sollte/könnte/müsste?

(Teil 3) PPmP 2017; 67: 227-230

Forschungsaktivitäten in der Psychsomatik und Psychotherapie werden immer wieder angemahnt. Auch wenn die entsprechenden Studiendesigns schwierig und oftmals ethische Hürden zu überwinden sind, gibt es international durchaus Publikationen dazu. In Deutschland sind solche Untersuchungen dagegen eher selten. Deshalb ist der hier vorgestellte Artikel mit Überlegungen zur Psychotherapieforschung im Kontext der sog. personalisierten Medizin besonders erwähnenswert.

Die beiden Autoren schreiben, dass eine Verbesserung der Evidenzbasierung von zentraler Bedeutung für die Weiterentwicklung der Psychotherapie als wissenschaftlich fundiertes und gesellschaftlich anerkanntes Verfahren zur Behandlung psychischer Störungen ist. Sie merken an, dass viele neuere Behandlungsverfahren z.B. der kognitiven Verhaltenstherapie oder mentalisierungsbasierte Verfahren in der psychodynamischen Tradition spezifische Behandlungsempfehlungen für spezifische Diagnosegruppen hervorbringen und ihren Anspruch auf Originalität durch eigenständige Zertifikate und Weiterbildungsmodule Ausdruck verleihen. Hier stehe einer Vielzahl von zum Teil originellen und beliebten Neuentwicklungen eine geringe Evidenz im Vergleich zu bereits etablierten Verfahren gegenüber.

Wenn man die Effektstärken gut untersuchter, evidenzbasierter Verfahren betrachtet, sind diese für viele Patienten wirksam, für einige sogar hochwirksam, während andere Patienten keinen Nutzen aus der Behandlung ziehen können: Psychotherapie erzielt bei ca. einem Drittel aller Patienten keinen signifikanten Effekt. Die gleiche Behandlung kann also eine sehr unterschiedliche Wirksamkeit für unterschiedliche Patienten haben.

Die Autoren postulieren daher als vorrangiges Ziel der Psychotherapieforschung für jene Patienten bzw. Patientengruppen eine Therapieverbesserung zu erreichen, die (bisher) vorn dieser keinen Nutzen haben oder bei denen sogar ungünstige Effekte (sudden loss) auftreten. Sie fordern daher einen Paradigmenwechsel in der Psychotherapieforschung mit einer Abkehr von der Methodenorientierung (Behandlungsverfahren A vs. B) hin zu einer Patienten- und Erfolgsorientierung und bezeichnen zwei Fragen als wichtig und wegweisend: Welche Therapie ist für welchen Patienten am erfolgreichsten? Wie können therapeutische Strategien optimal im Laufe der Behandlung an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden?

In diesem Sinne könnte auch die DGPFG in der Zukunft psychosomatische Forschungsaktivitäten lenken und unterstützen.

Matthias David, Juli 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats Juni 2017

Artikel des Monats Juni 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Coughlan B et al.

The Second Victim: a Review.

European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology. 2017; 213, 11–16

Schwangerschaft und Geburt werden heute in der Öffentlichkeit vor allem als ein stets physiologisch ablaufender Prozess dargestellt und aufgefasst; Krankheit und Tod sind in diesem Zusammenhang „Nichtereignisse“ und ein (ärztlicher) Fehler ist die einzige mögliche Ursache unerwünschter Ereignisse. Diejenigen, die rund um die Geburt tätig sind, wissen, dass auch die Geburtshilfe eine „unvollkommene Kunst“ ist – auch hier kommt es zu ungünstigen Verläufen und Fehler passieren. Wenn dies geschieht, sind wie durch einen Dominoeffekt drei Personengruppen betroffen (das sog. erste Opfer= die Patientin selbst; das sog. zweite Opfer= das Kreißsaalteam; das sog. dritte Opfer= das Krankenhaus/ „die Organisation“). Aktuell gewinnen Forschungsarbeiten zu den „zweiten Opfern“ an Bedeutung. Das hier vorgestellte Review von Coughlan et al. (2017) zielt nicht so sehr das generelle Phänomen des „zweiten Opfers“, es konzentriert sich vor allem auf die peripartale Betreuung. Die Datenbanken MEDLINE, EMBASE, CINAHL  wurden auf Risikofaktoren, Prävalenz und Auswirkungen auf die „zweiten Opfer“ hin durchsucht, um Empfehlungen geben zu können.

Das Phänomen des zweiten Opfers ist häufig, es wird, je nach Untersuchungskollektiv, eine Prävalenz von 10 bis ca. 73% Betroffenen im Gesundheitswesen angegeben.

Die „ersten Opfer“, die Frauen mit ihren Neugeborenen und deren Familienangehörige, bedürfen einer kontinuierlichen und qualifizierten Betreuung.

Die zweite Opfergruppe sind die beteiligten Ärzte/Ärztinnen und Hebammen. Die meisten Erfahrungen der „zweiten Opfer“ sind  sehr negativ. Angst, Scham, Schuldgefühle und körperliche Symptome, Depressionen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung können die Folge sein. Es werden aber auch positive Auswirkungen beschrieben – beispielsweise kommt es bei einigen Betroffenen zu einer Verbesserung des Durchsetzungsvermögens, der Kommunikation, der Patientinnenbetreuung und der Bereitschaft, zu lernen.

Die letzte Gruppe, die dritten Opfer, sind die Einrichtungen, in den das negative Ereignis vorgefallen ist. Negative Outcomes in Einzelfällen und Auswirkungen von Fehlern können das Image einer Klinik über Jahre beschädigen. Nach einem Fehler oder einem kritischen Ereignis gibt es zwei gleich wichtige Komponenten im Auswertungsprozess – Bereitstellen emotionaler Unterstützung für das Team und Lernen aus dem Vorfall. Die oft genutzten Morbiditäts- und Mortalitäts-Konferenzen in den Kliniken, die das Ziel haben, aus dem Ereignis zu lernen und Schlüsse zu ziehen, sind oft negativ fokussiert und können den zweiten Opfern so eher schaden. Diese Konferenzen sollten immer auch einen Teil “Sicherheit und  Erfolg” beinhalten, wo positive Beispiele diskutiert werden, um die Tatsache in Erinnerung zu rufen, dass weit mehr Dinge in einer Klinik gut laufen, als schlecht gehen.

Für die zweiten Opfer wird eine Kombination aus fünf  Punkten empfohlen: Behandlung, Respekt, Verständnis, Mitgefühl, unterstützende Hilfe und Transparenz (= Treatment, Respect, Understanding and compassion, Supportive care and Transparency – das TRUST-Modell).

Es konnte mehrfach und eindeutig  gezeigt werden, dass, wenn die Ärztinnen, Ärzte und Hebammen eines Kreißsaalteams dabei unterstützt werden, eigene Fehler aufzudecken, der oben beschriebene Dominoeffekt weniger häufig auftritt und die Bereitschaft, Fehler einzugestehen, wächst. Es liegt in der Verantwortung aller im Gesundheitsbereich Tätigen, alle Opfer(-gruppen) eines Fehlers zu unterstützen, sowohl im Sinne einer ethischen Pflicht als auch einer offenen Fehlerkultur. Letztlich geht es darum, eine Balance zwischen einer Kultur des Lernens aus Fehlern und des Lernens „von den Besten“ herzustellen.

Matthias David, Juni 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats Mai 2017

Artikel des Monats Mai 2017

vorgestellt von PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Epstein RM, Duberstein PR, Fenton JJ, Fiscella K, Hoerger M, Tancredi DJ, Xing G, Gramling R, Mohile S, Franks P, Kaesberg P, Plumb S, Cipri CS, Street RL Jr, Shields CG, Back AL, Butow P, Walczak A, Tattersall M, Venuti A, Sullivan P, Robinson M, Hoh B, Lewis L, Kravitz RL.

Effect of a Patient-Centered Communication Intervention on Oncologist-Patient Communication, Quality of Life, and Health Care Utilization in Advanced Cancer: The VOICE Randomized Clinical Trial.

JAMA Oncol. 2017 Jan 1;3(1):92-100. doi: 10.1001/jamaoncol.2016.4373.

Es gibt außerhalb von Beobachtungsstudien wenig Daten zum Zusammenhang zwischen patientenzentrierter Kommunikation, Lebensqualität  (QOL) und angewendeter Therapiestrategien bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen.  In der vorliegenden US-amerikanischen randomisiert-kontrollierten Studie wurde untersucht, inwieweit eine psychoonkologische Gesprächsintervention, die Onkologen, Patienten und weitere Betreuungspersonen beteiligt zu einer Verbesserung  der Kommunikation, der Lebensqualität und dem Einsatz von weniger invasiven Behandlungsstrategien am Ende des Lebens beitragen kann.

Es nahmen 38 Onkologen (mean age 44,6 Jahre; 11 (29%) weiblich) und 265 erwachsene Patienten mit fortgeschrittenen, nicht-hämatologischen Krebserkrankungen (mean age 64,4 Jahre, 146 [55.0%] weiblich, 235 [89%] weiß; Follow-up für 3 Jahre) an der Studie teil. 194 Patienten hatten zusätzlich weitere teilnehmende Betreuungspersonen.

Die Onkologen  erhielten ein Kommunikationstraining während die Patienten individualisiertes Coaching erhielten, um zu lernen, ihre Bedürfnisse besser identifizieren sowie an die behandelnden Onkologen adressieren zu können.  Beide Interventionen fokussierten auf Aspekte wie darauf, dass auf Emotionen besser eingegangen werden sollte, Informationsweitergabe an die Patienten über Prognose  und Behandlungsoptionen angemessen erfolgte. Die Kontrollgruppe erhielt kein Training.

Primäres outcome -Instrument war die Auswertung von  Tonaufnahmen der Patientengespräche nach dem Training oder nach dem Stuideneinschluss im Falle der Kontrollgruppe. Sekundäre Studienziele umfassten  die Arzt-Patienten-Beziehung, das Verständnis der Prognose, QOL und die Anzahl von aggressiven Behandlungen und Hospizaufenthalt in den letzten 30 Tagen des Lebens.

Nach statistischer Auswertung zeigte sich, dass die Interventionsgruppe statistisch-signifikante verbesserungen der Arzt-Patineten-Kommunikation aufwies  (adjusted intervention effect, 0.34; 95% CI, 0.06-0.62; P = .02). In den sekundären Studienzielen ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass eine kombinierte Intervention, die sowohl an die behnadelnden Onkologen als auch an die Behandelten gerichtet ist, eine positive Auswirkung auf die Arzt-Patienten-Kommunikation hat, aber keine Verbesserung der Lebensqualität mit sich bringt oder Behandlungsstrategien am Ende des Lebens beeinflusst.

Kommentar:

Das Sprechen über Tod und Sterben und Therapiebeendigung ist eine der schwersten ärztlichen Aufgaben, noch dazu wird es in der Ausbildung wenig gelehrt. Betrachtet man die

Aussagen dazu in der S3-LL Palliativmedizin, bewegen sich diese auf dem  Level der Expertenmeinung. Durch das in der Studie vorgestellte Kommunikationstraining kann evtl.  Vertrauen gebildet und/oder erhalten werden. Erreichbare Ziele können gemeinsam formuliert werden und so zu einer Verbesserung der Versorgung am Lebensende beitragen.

Friederike Siedentopf, Mai 2017

PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Artikel des Monats April 2017

Artikel des Monats April 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Stewart DE. Perinatal mental health in low‐ and middle‐income country migrants. (Mini commentary) BJOG 2017; 124: 753

Die Welt befindet sich aktuell in einer Migrationskrise mit Millionen von Menschen, die sich  aus unterschiedlichen Gründen (kriegerische Konflikte, Gewalt und Terror, Naturkatastrophen oder die Suche nach einem besseren Leben) in einem Migrationsprozess befinden.
Tatsächlich wächst die Zahl der Migranten international stärker als die Weltbevölkerung.
Viele Migranten sind Frauen, die sich, da sie schwanger oder im Wochenbett sind, in einer besonders vulnerablen Lebensphase befinden. Sie sind erheblichen Gesundheitsrisiken sowie ökonomischen und sozialen Herausforderungen ausgesetzt.
Perinatale psychische Gesundheitsstörungen haben einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Mutter, des Un- und Neugeborenen sowie anderer Familienangehöriger und sind aktuell eine der häufigsten Störungen rund um die Geburt.
Am häufigsten treten perinatale Depressionen und Angststörungen auf. Diese betreffen wahrscheinlich 13% der Frauen in den entwickelten Industrieländern, ca. 15-20 % der Frauen in Entwicklungs- bzw. Ländern mit geringem Einkommen und 42 % der Migrantinnen.
Leider kommen die meisten entsprechenden Studien zur perinatalen psychischen Gesundheit aus den hochentwickelten (Industrie-)Ländern.
Bessere Informationen zu Migranten-Populationen insbesondere aus den sog. Entwicklungsländern sind daher notwendig und wünschenswert.
In der aktuellen Ausgabe der BJOG vom April 2017 geben die Autoren Fellmeth et al. eine hochaktuelle, methodisch streng durchgeführte Literaturübersicht zu diesem Thema. Sie analysierten 40 Studien, die nahezu 8000 Migrantinnen auf 4 Kontinenten umfassten und über 11.000 Frauen, die die jeweiligen Vergleichsgruppen bildeten. Sie fanden eine gepoolte Prävalenz von 31% für verschiedene depressive Störungen im Allgemeinen und eine von 17% für schwere Depressionen.
Obwohl nur wenige Studien eine erhöhte Rate für Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen für Migrantinnen aus einkommensschwachen Ländern zeigten, fand die nun vorliegende Literaturübersicht nur insuffiziente Daten zur Belastung durch Angst, posttraumatischen Stress oder Psychosen in den 4 auswertbaren /relevanten Studien.
Insgesamt sind neu zugewanderte Mütter vulnerabler gegenüber Störungen der psychischen Gesundheit als Nicht-Migrantinnen in den Zuwanderungsländern.
Die aktuelle Übersichtsarbeit von Fellmeth et al. (BJOG 2017) konnte zeigen, dass mit einer psychischer Belastungen in der Familien- oder Eigenanamnese oder dem Fehlen von sozialer Unterstützung Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen in der Perinatalphase gegeben sind.
Eine relativ kleine Studie, die depressive Mütter mit Migrationshintergrund in Kanada untersuchte, fand, dass die Separierung von der Familie, soziale Isolation insgesamt und das Gefühl der Überforderung durch die Lebensveränderungen an sich, finanzielle  Belastungen, ungenügende Kenntnisse des Gesundheitssystems im Zuwanderungsland und Sprachdefizite problematisch sind.
Im Hinblick auf die offensichtlich gegebenen erhöhten Risiken für perinatale psychische Störungen ist es wichtig, dass die Akteure im Gesundheitswesen sensibel sind gegenüber den besonderen Problemen, die sich bei der Betreuung und Versorgung von Migrantinnen, speziell solchen aus einkommensschwachen Ländern.
Forschungen zur Identifizierung von speziellen psychosozialen Interventionen für diese vulnerable Population sind dringend notwendig. Zwischenzeitlich, bis diese Untersuchungsergebnisse vorliegen, sollten solche Maßnahmen, die sie als günstig und effektiv in anderen Populationen herausgestellt haben, um die körperliche und psychische Gesundheit von Mutter und Kind  zu verbessern eingeführt  bzw. auch für Migrantinnen umgesetzt werden.

Prof. Dr. med. Matthias David, April 2017

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats März 2017

Artikel des Monats März 2017

vorgestellt von PD Dr. med. Friederike Siedentopf

J.J.G. Gietel-Habets, C.E.M. de Die-Smulders, I.A.P. Derks-Smeets, A. Tibben, V.C.G. Tjan-Heijnen, R. van Golde, E. Gomez-Garcia, C.M. Kets and L.A.D.M. van Osch:
Awareness and attitude regarding reproductive options of persons carrying a BRCA mutation and their partners.
Human Reproduction, Vol.32, No.3 pp. 588–597, 2017

Die Studie untersucht den Informationsgrad und die Haltung von BRCA Mutationsträgerinnen und ihren Partnern  über Präimplantationsdiagnostik (PGD)und pränataler Diagnostik (PND) in den Niederlanden. Erhoben wurde, dass das Bewußtsein diesbezüglich relativ hoch ist. Das Angebot tatsächlich anzunehmen, dem stehen 80% der Mutationsträgerinnen und 26% ihrer Partner positiv gegenüber.

Die internationale Studienlage zeigt dagegen, dass der Grad der Bewusstheit eher gering ist, hingegen die Akzeptanz hoch.

In der niederländischen Querschnittsstudie wurden 191 Teilnehmer mittels Onlinesurvey zu demographischen und medizinischen Parametern befragt und die Kenntnis und Akzeptanz der Präimplantationsdiagnostik und pränataler Diagnostik erhoben.

Nur eine Minderheit würde die Methoden anwenden (PGD: 39%; PND 20%). Anwenden würden insbesondere und signifikant (p<0.001) häufiger Studienteilnehmerinnen mit hohem Bildungsstand für Personen mit aktuell bestehendem Kinderwunsch und diejenigen mit einer Brustkrebserkrankung in der Vorgeschichte.

Als limitierend ist die relativ geringe Responserate von nur 23% anzusehen. Auch die verwendeten Instrumente waren nicht validiert. Durch das Setting der Studie als Querschnittsuntersuchung lassen sich keine kausalen Zusammenhänge erfassen.

Die Autoren sehen als Konsequenz ihrer Ergebnisse, dass eine Ausweitung der Information betroffener Paare über reproduktionsmedizinische Optionen notwendig sei, weil ein Mangel an Information einen negativen psychologischen Impact haben kann.

Anmerkung: In Deutschland ist die Präimplantationsdiagnostik nur in engen Grenzen verfügbar, aber verschiedene Methoden der Pränataldiagnostik sehr wohl. Wahrscheinlich werden wir uns als betreuende Frauenärztinnen und –ärzte zunehmend zu Fragen der Patientinnen hinsichtlich prädiktiver medizinischer Maßnahmen äußern und mit der Thematik auseinandersetzen müssen.

Friederike Siedentopf, März 2017

PD Dr. med. Friederike Siedentopf

Artikel des Monats Februar 2017

Artikel des Monats Februar 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Vollmer L. et al.
Strategien zur Streßbewältigung bei Kinderwunsch-Behandlung
Coping Strategies Are Interrelated – Implications for Targeted Psychological Counseling. Geburtsh Frauenheilk 2017; 77: 52–58

Unfruchtbare Frauen und Männer können im Verlaufe der reproduktionsmedizinischen Behandlung oder auch schon davor unter einer höheren Stressbelastung leiden. Die erhöht u. U. das Risiko, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln.

Die Arbeitsgruppe von Vollmer und Koll. (2017) hat fast 300 Frauen und Männer mit einem besonderen Fragebogen und einer „Bewältigungsskala“ untersucht. Die Daten der Paare, die sich in einem universitären Kinderwunschzentrum vorgestellt hatten, wurden auch miteinander verglichen („Frau vs. Mann“).

Bei den befragten Frauen war eine aktive Vermeidungsstrategie positiv mit einem höheren Risiko für Depression und Ängstlichkeit verbunden, während bei Männern eine sinngebende Bewältigung negativ mit dem Risiko, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln, korrelierte.

Bei Gegenüberstellung der Einzelergebnisse eines Paares war nachweisbar, dass Frauen und Männer, die eine aktive Vermeidungsstrategie verfolgten, höhere Risikowerte aufwiesen (einzeln=Akteureffekt und als Partner=Partnereffekt).

Vollmer et al. schlussfolgern, dass diese Ergebnisse darauf hindeuten, dass bestimmte Bewältigungsstrategien eine schützende Wirkung haben, während andere das Risiko einer emotionalen Fehlanpassung bei unfruchtbaren Paaren erhöhen können. Die Betroffenen könnten in Kenntnis eines solchen Risikos gezielt eine psychologische Beratung erhalten.

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats Januar 2017

Artikel des Monats Januar 2017

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Michael Marquardt, Joachim Heinrich Demling
Psychotherapie und Religion: Eine repräsentative Umfrage unter Psychotherapeuten in Süddeutschland.
Psychother Psych Med 2016; 66: 473–480

In der gesellschaftlichen Diskussion spielen derzeit Fragen der Religion, insbesondere im Zusammenhang mit dem Islam, eine große Rolle. Aber auch im (psycho-)therapeutischen Therapieprozess sollten Religion und Religiosität sowohl der Behandelnden als auch der Klienten bzw. Patientinnen Beachtung finden, wie der Artikel von Marquardt und Demling  zeigt. Die Autoren schreiben: „…Religion und Spiritualität spielen für Patienten mit psychischen Störungen als Problemfeld oder Ressource eine beachtenswerte Rolle. Es ist daher von Interesse, wie Psychotherapeuten in ihrer Arbeit, aber auch persönlich zu diesen Themenkomplexen eingestellt sind…“ Dazu haben sie niedergelassene Psychotherapeuten in Süddeutschland befragt mit einer insgesamt sehr guten Rücklaufquote von 65 %. Folgende Forschungsfragen sollten beantwortet werden: (1) Wie stark wird Religion in die Psychotherapie integriert? (2) Gibt es einen „personal bias“ im Hinblick auf die Einbindung von Religion in die Therapie? (3) Wie stark arbeiten Psychotherapeuten mit Seelsorgern zusammen? (4) Existiert eine „Religiositätslücke“ zwischen Psychotherapeuten und korrespondierender Allgemeinbevölkerung? Unter Beachtung dessen, dass im Befragungsgebiet ca. 55 % der Bevölkerung katholisch und 26 % evangelisch-lutherisch sind, ergaben die Antworten der 705 psychotherapeutisch Tätigen,  von denen 46 %  51 bis 60 Jahre alt waren und 61 % sich als  konfessionsgebunden bezeichneten, zusammengefasst Folgendes: „…Die Ergebnisse zeigen, dass Psychotherapeuten die Religion als weltanschaulich und im täglichen Leben relevant einschätzen, sie sind aber offenkundig weniger religiös als die korrespondierende Allgemeinbevölkerung. Auch für die therapeutische Praxis gelten religiöse Aspekte zwar als belangvoll, werden in der üblichen Routine jedoch eher selten berücksichtigt. Je religiöser ein Psychotherapeut ist, desto stärker tendiert er dazu, Religion in den diagnostischen oder therapeutischen Prozess einzubinden (‚personal bias‘). Die Zusammenarbeit von Therapeuten mit Seelsorgern korreliert, soweit sie stattfindet, stärker mit ‚externen‘ (Konfession, Kirchenbesuch) als mit ‚internen‘ (persönliches Gebet, Lektüre religiöser Schriften u. dgl.) religiös-spirituellen Aktivitäten…“. Die beiden Autoren schlussfolgern: „… Zwischen Psychotherapeuten und der Allgemeinbevölkerung scheint eine ‚Religiositätslücke‘ zu bestehen. Weiterbildung zum Thema ‚Religion/ Spiritualität‘ und verstärkte Berücksichtigung in der Supervision könnten der Gefahr entgegenwirken, dass religiöse Bedürfnisse und religionsbezogene Ressourcen von Patienten vernachlässigt werden…“. Interessant wäre eine ähnlich Erhebung in einem weniger ‚katholischen Großraum‘ (Berlin, Hamburg?!)  wie auch eine Untersuchung mit dem Fokus auf islamisch geprägten Therapeuten bzw. Patienten/innen.

Prof. Dr. med. Matthias David

Artikel des Monats Dezember 2016

Artikel des Monats Dezember 2016

vorgestellt von Prof. Dr. med. Matthias David

Kreß H.
Heutige Kinderwunschmedizin an einer Wegscheide. Vorwirkende Schutzrechte von Kindern als normatives Kriterium.
ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik 2016; 49: 232-235

Zusammenfassung (Auszüge aus dem Artikel)

„Angesichts aktueller Innovationen der Fortpflanzungsmedizin stellt sich die Frage nach ethisch und grundrechtlich gebotenen Grenzziehungen. Es geht darum, dass Schutz- und Selbstbestimmungsrechte von Kindern bereits vorwirkend zu beachten sind. […] Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Paaren mit Kinderwunsch wird im Inland zu sehr eingeschränkt. […].“ Der Autor bespricht sehr wichtige Aspekte folgender kontrovers diskutierter Themen ausführlich: „Pränataler Zugriff auf das Genom versus Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, „Herausgabe kryokonservierter Embryonen versus Persönlichkeitsrechte des Kindes“, „Anonyme Keimzellspenden versus Recht auf Kenntnis der genetischen Herkunft“ und „Uterustransplantation mit Embryotransfer versus Gesundheitsschutz des Kindes“. Er schreibt unter der Überschrift „Das Kind als Projekt“: „Insgesamt ist unverkennbar, dass die Kinderwunschmedizin ihr Angebotsspektrum zurzeit ausweitet. Offen ist, ob hier durch stets tatsächlicher medizinischer und authentischer menschlicher Bedarf abgedeckt wird oder ob nicht auch künstlich Bedürfnisse wachgerufen werden. Letzteres ist ins besondere dann problematisch, wenn Dritte Schaden nehmen können…“

Im Fazit des sehr lesenswerten Artikels heißt es u. a.: „Eine obligatorische psychosoziale Beratung ist jedoch für Konstellationen in Betracht zu ziehen, bei denen die Interessen Dritter, z. B. einer Uterusspenderin, sowie die vorwirkenden Grundrechte von Kindern besonders stark betroffen sind. In einer behandlungsunabhängigen Beratung kann auch aufgearbeitet werden, ob sich ein Kinderwunsch in bedenklicher Weise verselbstständigt hat und ob präkonzeptionell oder pränidativ auf ein Kind Projektionen gerichtet werden, durch die es von vornherein überfremdet und nach geburtlich in seiner eigenständigen unbefangenen Entwicklung beeinträchtigt zu werden droht…“

Prof. Dr. med. Matthias David

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