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Stellungnahme der DGPFG zur Einführung der Nichtinvasiven Pränataldiagnostik als Kassenleistung

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Stellungnahme

„WAS WOLLEN SIE VON IHREM KIND WISSEN?“

Dresden, November 2018.

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) aus Anlass der parlamentarischen Diskussion
über die Einführung der Nichtinvasiven Pränataldiagnostik (NIPD) als Kassenleistung

Die Übernahme der NIPD in die Mutterschaftsrichtlinien wird in der DGPFG kritisch diskutiert.
Nach Ansicht der DGPFG dient das Wissen, das durch die NIPD gewonnen wird, nicht oder nur bedingt dem Wohl des einzelnen Ungeborenen und dem Wohl der werdenden Mutter. Frauenärzten und Frauenärztinnen kommt bei der Beratung zu Pränataldiagnostik eine besondere Aufgabe zu: Sie sollen bei spürbar vorhandenem gesellschaftlichen Druck Frauen darin unterstützen, selbstbestimmt  Entscheidungen zu treffen. Das erscheint  kaum möglich. Es besteht ein Dilemma zwischen gesellschaftlicher Erwartung und individuell erlebter Realität. Das kann verstärkt werden durch eine Kostenübernahme der Krankenkassen, die aus Gründen der Gerechtigkeit und der Selbstbestimmung dennoch geboten scheint. Für den Umgang mit der NIPD bedarf es einer gesellschaftlichen Besinnung.

Das Angebot der Pränataldiagnostik im gesellschaftlichen Kontext
Eng verbunden mit  der möglichen Anerkennung der NIPD als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist der gesellschaftliche Umgang mit Behinderung und Anders-Sein. Wir erleben derzeit eine Diskrepanz:  Auf der einen Seite gibt es die  geforderte und geförderte Inklusion von Menschen mit Behinderung, auf der anderen Seite das Angebot der Medizin, durch immer speziellere Angebote der Pränataldiagnostik eine (chromosomal bedingte) „Abweichung“ möglichst früh in der Schwangerschaft zu erkennen. Die NIPD ist nur der Endpunkt einer langjährigen Entwicklung. Dieses Angebot ist unausgesprochen verbunden  mit der Perspektive, die Geburt der Betroffenen zu verhindern: Mehr als 90% der Schwangeren, die erfahren, dass ihr ungeborenes Kind eine Trisomie 21 hat, entscheiden sich für einen Abbruch der Schwangerschaft. Der Widerspruch  zwischen öffentlich propagierter Inklusion und  individuell möglicher Selektion wird nicht benannt, im Gegenteil: Er wird weitgehend verschleiert. Was als Angebot der Selbstbestimmung deklariert wird, erleben viele Schwangere als gesellschaftlichen Druck. Die individuelle Lösung der mit dieser doppelten Botschaft verbundenen Problematik während der Schwangerschaft kann eine Überforderung von Frauen und ihren beratenden Ärzten/Ärztinnen darstellen.
Die DGPFG begrüßt, dass die Diskussion um die Frage der Kostenübernahme derNIPD auch im parlamentarischen Rahmen erörtert wird. Denn es geht um mehr als um eine medizinische Methoden-Diskussion, es geht um grundsätzliche ethische Problemstellungen.  Dazu gehören die Selbstbestimmung der Schwangeren, der Schutz des Ungeborenen, der gesellschaftliche Umgang mit dem „Anders-Sein“ und ein gerechter  Zugang zur gesundheitlichen Versorgung. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, sondern letztlich um ein Abwägen von moralischen Werten.

Die Aufgabe von Frauenärzten und Frauenärztinnen im Kontext von Pränataldiagnostik
Frauenärztinnen und Frauenärzten fällt beim Thema Pränataldiagnostik eine besondere Rolle zu. Die gynäkologische Praxis ist  für die Schwangeren/ die werdenden Eltern meist die erste und für viele auch die wichtigste Anlaufstelle. Hier erwarten sie Information und zusätzlich Unterstützung bei der Entscheidungsfindung. Das ist sehr umfassend: Das Spektrum der möglichen vorgeburtlichen Diagnosen reicht von unterschiedlich ausgeprägten körperlichen Entwicklungsstörungen und Erkrankungen  bis zu irreversiblen genetisch festgelegten  Besonderheiten, das Spektrum der möglichen Konsequenzen reicht von Besserung bzw. Heilung bis hin zu der Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen.  Eine wirklich umfassende Beratung mit allen möglichen Konsequenzen ist nicht nur sehr zeitaufwändig sondern auch belastend, für alle Beteiligten. Sie reißt die Schwangere notgedrungen aus der „Zeit der guten Hoffnung“.  Eine wirklich autonome Entscheidung, noch dazu unter Zeitdruck und im oben geschilderten gesellschaftlichen Kontext, ist oft kaum zu erreichen.
Pränataldiagnostik ist immer mit Sorge, zum Glück häufig mit Entlastung, nicht selten aber auch mit  Belastung verbunden. Die Beratung verlangt neben dem medizinischen Wissen  eine besonders hohe Kompetenz in Kommunikation. Ziel ist die selbstverantwortliche Entscheidung der Frau auf der Basis von gemeinsamen Überlegungen, ein sogenanntes Shared Decision Making (SDH).
Die DGPFG versammelt als weltweit größter Fachverband der psychosomatischen Frauenheilkunde mehr als 700 Frauenärzte und –ärztinnen,  die sich einer im besten Sinne ganzheitlichen, d.h. körperlichen wie seelischen Betreuung besonders verpflichtet fühlen. Die DGPFG hat von Beginn an die Einführung der NIPD kritisch begleitet und auf die möglichen Konsequenzen hingewiesen (s.Stellungnahme zu NIPD/ Dez. 2013).

Aspekte der NIPD
Die medizinischen Grundlagen und Aussagemöglichkeiten der NIPD setzen wir als bekannt voraus.
Weithin unbestritten ist, dass mit Hilfe dieser Methode höchstwahrscheinlich eine Anzahl von bislang  iatrogen (ärztlich) verursachten Fehlgeburten verhindert werden kann, die der derzeit üblichen Fruchtwasserentnahme anzulasten sind. Aus diesem Blickwinkel  hat die NIPD medizinische Vorteile, und  Frauen müssen über die neue Methode informiert werden. Sie sollten selbst entscheiden können, ob sie die NIPD in Anspruch nehmen wollen um etwas über die genetische Ausstattung ihres Ungeborenen zu erfahren.  Diese Entscheidung sollte nicht an die persönlichen finanziellen Möglichkeiten gebunden sein. Alles zusammen sind das klare  Argumente für die Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Allerdings ist dabei zu bedenken: Die NIPD ist keine übliche Methode der Früherkennung. Sie dient nicht dem Wohl des individuellen Ungeborenen und nur sehr bedingt dem Wohl der werdenden Mutter. Damit ist gemeint:  Die Information über einen „normalen“ Chromosomensatz kann zwar manche Schwangere entlasten, aber die Information  „Trisomie“  führt zu enormer Belastung. Fast alle Schwangeren entscheiden sich für einen Abbruch der Schwangerschaft, aus Angst vor der erwarteten und gefürchteten Belastung.  Das ist nicht der einzelnen Frau oder der frauenärztlichen Beratung anzulasten, sondern hat vor allem mit dem gesellschaftlichen Umfeld zu tun. Solange Sätze üblich sind wie: „Willst Du Dir das wirklich antun?“ ist es enorm schwierig, eine Entscheidung für ein Kind mit einer Chromosomenauffälligkeit zu treffen. Die Entscheidung gegen das Kind ist ein Tabu: Der Abbruch wegen Trisomie wird von den meisten Familien geheim gehalten, was zu einer weiteren Belastung führt.

NIPD als Kassenleistung – was ist zu fordern?
Es ist nach Mitteilungen aus dem GKV-Spitzenverband damit zu rechnen, dass die NIPD demnächst  als Kassenleistung aufgenommen wird, zumindest bei Risikoschwangeren.  Die DGPFG akzeptiert das, warnt aber vor einer umstandslosen Aufnahme der NIPD in den Leistungskatalog der Mutterschaftsrichtlinien.

Die DGPFG fordert:

  • eine professionelle umfassende und offene Beratung, für die es der Kompetenz, der Zeit und der Honorierung bedarf.  Jede Schwangere sollte vor jeder Form der Pränataldiagnostik, speziell aber vor der NIPD gefragt werden: „Was wollen Sie von Ihrem Kind wissen?“  Zusammen mit dem Angebot der NIPD muss in der Beratung eindeutig darauf hingewiesen werden, dass die Diagnose einer Chromosomenveränderung nicht mit der Möglichkeit einer Therapie verbunden ist. Die Schwangere sollte wissen, dass sie eventuell vor schwerwiegende Entscheidungen gestellt wird bis hin zu einem Abbruch der Schwangerschaft. Sie sollte erfahren, dass jede ihrer Entscheidungen – für oder gegen NIPD, für Austragen oder Abbruch einer Schwangerschaft – akzeptiert und sie in jedem Fall bestmöglich unterstützt wird.
  • eine fortwährende gesellschaftliche Wertedebatte, eine Diskussion um die Bedeutung von Behinderung und den Umgang damit, unter Einbeziehung aller.  So betonen zum Beispiel Eltern von Kindern mit Trisomie zu Recht: „Mein Kind leidet nicht an einer Trisomie – es hat eine Trisomie.“ Sie berichten von einem ganz speziellen, oft nicht einfachen und dennoch sehr guten Leben. Werdende Eltern müssen darauf vertrauen können, dass sie eine besondere Unterstützung erfahren und ihnen zur Geburt ihres besonderen Kindes gratuliert wird,  statt hören zu müssen: „Hat man das denn nicht vorher sehen können?!“  – eine Frage, die die Problemlösung fälschlich auf die frauenärztliche  Praxis und die einzelne Frau fixiert.  Das darf nicht sein!

Für den Vorstand der DGPFG:
Dr.med.Claudia Schumann
Frauenärztin / Psychotherapie
Vizepräsidentin DGPFG

Stellungnahme zum Download

Ansprechpartnerinnen für die Presse

Dr. med. Claudia Schumann
Vizepräsidentin der DGPFG
Claudiaschumann@t-online.de
M +49 170 7322580

 

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