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Artikel eines Beiratsmitgliedes Juni 2018

Artikel eines Beiratsmitgliedes – Juni 2018

Einfluss der Migration und Akkulturationsprozesse in Berlin auf die Frühgeburtenrate

Informationen zu einer zurzeit durchgeführten Studie am St. Joseph Krankenhaus

Marlene Lee, Michael Abou-Dakn
Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Tempelhof

gynaekologie@sjk.de

Migration und Akkulturation haben insbesondere in den letzten Jahren in Deutschland an Bedeutung gewonnen. Der Jahresbericht des Statistischen Bundesamtes weißt aktuell ca. 18,6 Mio. Menschen in Deutschland mit einem Migrationshintergrund auf (1). Hierunter versteht man Menschen, die entweder selbst im Ausland geboren sind oder jene bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde (1). Unter der Akkulturation werden die Anpassungsprozesse verstanden, die aus dem Kontakt von Mitgliedern verschiedener Kulturen über einen längeren Zeitraum entstehen (2). Diese akkulturationsbedingten Anpassungsprozesse können zu Stress führen, dem sogenannten Akkulturationsstress, welcher häufig mit negativen Affekten, wie zum Beispiel einer depressiven Gemütslage oder Ängstlichkeit im Hinblick auf die Bewältigung des täglichen Lebens innerhalb der neuen Gesellschaft vergesellschaftet sind. Ebenso kann es zu einem Gefühl des kulturellen Identitätsverlustes kommen auch durch den Verlust von sozialen Netzwerken und Unterstützungssystemen, welche ebenfalls zu einer höheren Rate an Depressionen und Einsamkeit führen können (3,4).

Auch die reproduktive Gesundheit von Migrantinnen ist oft nicht zufriedenstellend. Die Inanspruchnahme der Gesundheitssysteme erfolgt meist nicht im gleichem Umfang, wie durch die einheimischen Frauen (5,6). In mehreren internationalen Studien konnte gezeigt werden, dass längere Akkulturationsprozesse, bei denen Frauen größere Teil der Sitten und Traditionen der neuen kulturellen Umgebung annehmen, interessanter Weise schlechteres perinatales Outcomes begünstigt (4,7-9).  Hierunter fallen ein niedriges Geburtsgewicht, eine erhöhte perinatale Mortalität, mehr operative Entbindungen sowie eine erhöhte Frühgeburtenrate (4,7-9). Dies konnte vor allem in Studien aus den USA, die sich mit mexikanischen Migrantinnen beschäftigt haben, beobachtet werden. Die Studien zeigen, dass Frauen, die weniger akkulturiert sind eine geringere Rate an perinataler Morbidität und Mortalität aufweisen, obwohl sie einen niedrigeren sozio-ökonomischen Status, weniger Bildung sowie einen schlechteren Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Dieser Effekt hat als das „Latino Gesundheitsparadox“ in die Literatur Einzug genommen (4,6).

Die genauen Mechanismen, durch die die Akkulturation zu diesen ungünstigen perinatalen Outcomes beiträgt, sind jedoch bisher weitgehend ungeklärt (4). Die nachteiligen Auswirkungen der sozialen Situation vieler Migrantinnen sowie der oftmals weiterbestehenden Kommunikationsprobleme sind als Ursache naheliegend.

Kausal können daneben aber auch in Folge der Akkulturation die Übernahme von gesundheitsschädigenden Gewohnheiten, wie Nikotinabusus und Alkoholkonsum sowie dem kalorien- und fettreicherem Essverhalten sein. So zeigen Studien, dass mit Zunahme der Akkulturation auch die negativen gesundheitlichen Faktoren der neuen Gesellschaft übernommen werden (4,8).

In der Bundesrepublik Deutschland liegen bis dato keine Daten zu dem Perinatalem Outcome von Migrantinnen vor. Diese sind jedoch in Anbetracht der fortschreitenden Migrations-, Integrations- und Akkulturationsprozesse wichtig, um ein besseres Verständnis des Einflusses dieser Prozesse auf die Schwangerschaft und Geburt zu erlangen.

Aus diesem Grund führen wir zu Zeit eine prospektive Studie in der Frauenklinik des St. Joseph Krankenhaus, Berlin-Tempelhof durch. In dieser untersuchen wir die möglichen Unterschiede in der Frühgeburtenrate bei Frauen mit Migrationshintergrund verschiedener Generationen im Vergleich zu Frauen ohne Migrationshintergrund sowie die Auswirkung des Akkulturationsstresses auf diese Prozesse.

Eine Studienteilnahme wird allen Wöchnerinnen, die sich stationär auf der Wochenbettstation der Klinik für Geburtshilfe des St. Joseph Krankenhauses befinden, angeboten. Sie folgt der Ethik der Helsinki Deklaration und den aktuellen Datenschutzbestimmungen und ist durch die Ethikkommission der Ärztekammer Berlin anerkannt worden.  Für die Befragung werden validierte Assessmenttools wie die Frankfurter Akkulturationsskala (Bongard et al. 2007), der Akkulturationsstress-Index (Dissertation Foroutan. 2006) sowie der DFG – Fragebogen zu soziodemographischen Angaben (DFG-Projekt David et al. 2011) verwandt (3,10,11).

1000 Frauen, davon mindestens 400 Frauen mit sowie 400 Frauen ohne Migrationshintergrund sollen nach Berechnung der Statistik befragt werden. Verglichen werden Gruppe A (Frauen ohne Migrationshintergrund) versus Gruppe B (Frauen mit Migrationshintergrund).  Die Datenerhebung erfolgt mittels Fragebögen, die durch eine Projektmitarbeiterin gemeinsam mit der Patientin ausgefüllt werden.

Ziel dieser Studie ist es, die Einflüsse von Migrations- und Akkulturationsprozessen sowie den damit vergesellschafteten Stress auf die Frühgeburtenrate bei Frauen mit Migrationshintergrund der ersten sowie der zweiten Generation im Vergleich zu Frauen ohne Migrationshintergrund zu erforschen.  Mit den Ergebnissen unserer Studie erhoffen wir für Deutschland Daten hinsichtlich des gesundheitlichen Effekts der Migrantinnen in Abhängigkeit von der Akkulturationsdauer zu erhalten und ggf. gesundheitsfördernde Intervention zu entwickeln.

Wir werden nach Auswertung der Daten gerne wieder darüber berichten.

Zu den Mitgliedern des Beirats der DGPFG

Prof. Dr. med. Michael Abou-Dakn

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